veröffentlicht in: Kultur + Miteinander

Die Psyche ist im Betrieb … – oder doch außer Betrieb?

Liebe Leserinnen und Leser,

Sie wollen also wissen, wie die Seele ins Unternehmen kam, und was das für Sie und für Ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement bedeutet? – das ist spannend für mich, denn lange Zeit war alles, was mit der Psyche zusammenhing, ein Tabuthema für Betriebe.

Und heute kommt anscheinend niemand mehr an ihr vorbei!

Wie kam es zu dieser fulminanten Karriere der Psyche?

Wer bin ich überhaupt?

Ich bin Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin. 3x Psych – das ist schon phonetisch schwierig. Da denken viele: „Mit der MUSS ja irgendwas nicht stimmen“, aber so heißt eben der offizielle Titel. Ich arbeite seit 17 Jahren als Beraterin zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Und ich habe in der Zeit festgestellt:

Die Psyche macht Karriere!

Es hat sich etwas verändert in deutschen Betrieben in den letzten 17 Jahren – zwischen früher, heute, morgen. Die Entwicklung sah so aus:

Früher hieß es:

„Psyche?! Nee, haben wir nicht!“

So ähnlich wie bei Sucht.

Wenn ich in den 90ern über die A&A war oder die Arbeitsschutz aktuell gegangen bin und bei den BGen und Unfallkassen gefragt hatte, was sie denn zum Thema Psyche oder Stress im Angebot hätten, habe ich zu hören bekommen: „Junge Frau, bis sich der Arbeitsschutz um sowas kümmert – das werden Sie und ich nicht mehr erleben. Viel zu schwammig. Kann man nicht messen. Das wird NIE Thema des Arbeitsschutzes.“

Der Mann sollte sich irren …

Aber da habe ich gemerkt:

Wir haben da einen KOMPLEX!

Es gibt eine große Befangenheit im Umgang mit der Psyche. Die Leute dachten zumindest damals: Psyche – das ist was für Kranke. Von der gesunden Psyche sprach kein Mensch!

  • „Der ist so Psycho!“ oder „Reif für die Klappse“ waren klassische Beleidigungen
  • Man sprach eher über Verdauungsprobleme als über die Seelenlage.
  • Oder wenn ich mich als Psychologin vorgestellt habe, hieß es: „Muss man sich vor Ihnen in acht nehmen?“

Sebastian Deisler und seine Depression haben das verändert. Ich war damals ambulante Psychotherapeutin, und wir hatten bis dahin zu 98% Frauen in unserer Praxis. Und plötzlich stand zum Thema Depression etwas in der BILD-Zeitung, und plötzlich saßen da junge Männer in der Praxis!

Unsere Gesellschaft hatte ein winziges bisschen vom Komplex abgelegt. Aber dann!

Im Herbst 2013 – brach DAS GRAUEN über deutsche Betriebe herein.

So sieht das aus: GB Psych.

Seitdem möchte der Gesetzgeber, dass Arbeitgeber bei der Gefährdungsbeurteilung auch psychische Belastungen berücksichtigen.

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Das sind 4 GRUSELWÖRTER.

  • Gefährdung – uuuuh!
  • Beurteilung – wer wird schon gern beurteilt? das klingt wie „verurteilt“
  • psychisch – igitt, nee, dann doch lieber Burnout (ein elegantes Trojanisches Pferd)
  • Belastungen – ach, wie schwer! Dabei ist arbeitswissenschaftlich betrachtet die Belastung neutral; einfach das, was von außen auf den Menschen einwirkt

ABER:

Entscheidend ist im Kopf. Nicht aufm Platz. Im Kopf. Was der Mensch denkt. Und der denkt: 4mal Grusel.

Oder simpel gesagt (und das ist ein Originalzitat):

„Da kommt einer und guckt, ob ich bekloppt bin.“

Aber auch die Verantwortlichen im Unternehmen haben diese Scheu:

„Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen? Kann das nicht ein Psychiater machen?“

Am liebsten würde man das auslagern.

Nein, das ist Aufgabe des Arbeitgebers.

Okay, auslagern geht nicht. Aber delegieren.

Die Sicherheitsfachkraft soll’s richten, aber die fühlt sich auch oft überfordert. Die ist ja von Haus aus ein Techniker. Aber

  • Bei psychischen Belastungen kann man nicht digital denken
  • das ist anders als bei Gefahrstoffen
  • Es gibt keinen Grenzwert
  • Und man kann sie auch nicht direkt messen
  • und DANN sind sie auch noch von Mensch zu Mensch verschieden: Auf denselben Gefahrstoff (dieselbe Führungskraft) reagiert
  • der eine mit Schulterzucken, während der andere Ängste entwickelt

Da stehen wir heute. Im Zeitalter 2.0. Und wir stellen fest:

Die Psyche tut sich schwer mit 2.0.

Einbezogen werden, mitgestalten können, selbständig arbeiten – das findet die Psyche der meisten Menschen gut. Aber zum sogenannten Zeitalter 2.0 gehören ja leider auch:

Geld-, Zeit- und Personalmangel. Arbeitsverdichtung, Flexibilität, Mobilität, ständig von unterwegs überall arbeiten können (Stichwort: Smartphones), aber auch überall arbeiten müssen (Stichwort: Erreichbarkeit) – dafür ist unsere Psyche nicht gemacht.

Die Psyche ist nicht modern. Sie ist langsam. Sie braucht Ruhepausen. Sie braucht Zeit.

Zum Beispiel nach einem Trauerfall.

Eine Frau kam zu mir, ungefähr so alt wie ich. Erfolgreiche Mode-Designerin. Sie sagte eines Tages zu mir: „Ihre ganzen Tipps zum Abschalten und zum Schlafen helfen mir alle nicht.“ Upps! Wie konnte das sein?

Ihre Mutter war gestorben. Und in der Zeit zwischen dem Tod der Mutter und ihrer Beerdigung war diese Frau nach Fernost geflogen, um dort Vertragsverhandlungen zu führen. Und 3 Monate später wunderte sie sich, dass sie Schlafstörungen hatte und öfter mal schlecht drauf war und wenig leistungsfähig. Die hat nicht verstanden, wie die Psyche funktioniert. Die Psyche braucht Zeit.

Wenn’s der Psyche gut geht, wirkt sich das auch positiv auf den Körper ist: DER GANZE MENSCH ist dann leistungsfähig.

Wenn die Psyche im Betrieb “außer Betrieb” ist, klappt das nicht.

Immer mehr Leute spüren das am eigenen Körper und sagen: „Ich muss mich wohlfühlen, damit ich etwas leisten kann.“ Die brauchen dazu weder Wollsocken noch Sauna, also kein WELLNESS, sondern WELL-BEING – oft genug wird das verwechselt.

Allerdings gibt es immer auch noch andere, die beim Thema Psyche mit Sprüchen kommen wie „Lassen Sie uns mit diesem Frauenkram in Ruhe!“

Aber ich verrate Ihnen etwas:

Das wird sich ändern. Die psychische Gesundheit der Belegschaft wird ein Wettbewerbsfaktor werden – nicht unbedingt im produzierenden Gewerbe; aber im Wissenssektor und im Dienstleistungsbereich ganz sicher.

Mitarbeiter suchen sich

  • ihre Projekte,
  • ihre Einsatzorte,
  • ihre Chefs

selbst. Sympathie / Antipathie werden eine große Rolle spielen. Und es wird Zeit, dass wir die Psyche verstehen lernen.

Denn im BGM 3.0 wird es um den Menschen als GANZES gehen.

 

Über die Autorin

Anne Katrin Matyssek

Hier im Blog von "do care!" finden Sie meine Meinung, Empfehlungen und Standpunkte zu aktuellen Themen und zu Evergreens rund um Fehlzeiten, Betriebskultur und gesundheitsgerechte Führung.
Mit meinen Materialien unterstütze ich Profis, die in Firmen und Behörden mit Führungskräften arbeiten und so für mehr Wohlbefinden und Echte (!) Anwesenheit im Betrieb sorgen.

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