Unter der Überschrift "Gesund-Führen-Trainer/innen-Porträts" werden ausgewählte Profis vorgestellt, die die Train-the-Trainer-Fortbildung von "do care!" erfolgreich durchlaufen haben. Heute: Ursula Dangelmayr aus Göppingen.
Seit wann bist Du Gesund-Führen-Trainer, und was hat Dich dazu bewogen, die Trainer-Fortbildung anzugehen?
Gesund-Führen-Trainerin bin ich seit 2016. Ich hoffe, das stimmt.
Mir ist dein Buch ins Auge gefallen, das Trainingsmanual. Da habe ich beschlossen:
Das ist mein Thema.
Der Anlass war, dass ich mich selbständig gemacht habe. Da habe ich überlegt: „Was sind denn meine Kernkompetenzen?“
Ich bin ja lange Jahre Führungskraft gewesen, war auch Personalentwicklerin und wollte nun Gutes bewirken in der Welt, im Betrieblichen Gesundheitsmanagement.
Da kam mir das Thema sehr zupass, weil ich alles einbinden konnte, was mir wichtig ist beim BGM. Hab nachgeforscht und bin auf das Gesund-Führen-Ausbildungskonzept gestoßen.
Nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte, war für mich klar: Ich möchte als Psychologin in die Wirtschaft gehen. Da war die Personalentwicklung für mich spannend, Anfang der 90er. Ich war die erste Psychologin, die sich das Unternehmen gegönnt hat, da hatte ich viele Möglichkeiten, um Dinge zu gestalten. Assessment Center, viele Workshops und Seminare. Ich habe das 10 Jahre gemacht. Eines Tages kam die Anfrage eines Vorstands, ob ich denn ein Callcenter-Kundenservice aufbauen möchte. Das fand ich spannend. Also habe ich das aufgebaut und geleitet. Erst in der Versicherung und dann in einer großen Konzerneinheit und schließlich waren es 600 Mitarbeiter, für die ich verantwortlich war. Dort habe ich viele Veränderungen vorangebracht: Von Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekten, Aufbau von Großraumbüros, Einführung von mobiler Arbeit, sogar die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung habe ich verantwortet – bevor sie zur gesetzlichen Pflicht wurde.
Als ich das dritte Kundenservicecenter hätte aufbauen sollen, dachte ich: „Das ist keine Herausforderung mehr, ich habe zweimal bewiesen, dass ich das kann“. Da habe ich dann beschlossen: „Ich habe mich zu weit entfernt von meiner Herzensangelegenheit, der Psychologie“. So kam dann die Entscheidung, mich selbständig zu machen. Ich hatte ja vorher als Personalentwicklerin schon viel mit Externen zu tun, da hatte ich schon damit geliebäugelt. Quasi als dritter Karriereschritt: Personalentwicklung in eigener Sache.
Die Abschnitte waren also:
Studium, 1990-2000 Personalentwicklung, 2000-2015 Führungskraft, seit 2015 selbständig.
Welchen Seminar-Baustein magst Du am liebsten?
Am liebsten mag ich die Kollegiale Beratung, denn die habe ich bereits in meinen Führungskräfteseminaren in meiner Personalentwicklungszeit eingesetzt. Ich finde den Baustein deshalb gut, weil er an den Themen arbeitet, die den Führungskräften am Herzen liegen. Weil sie merken, andere haben dasselbe Problem; und es tut gut, sich in geordneter Form auszutauschen. Und es passiert oft, dass die Führungskräfte am Ende sagen: „Das ist so ein tolles Instrument, das führen wir jetzt auch bei uns im Unternehmen ein“. Das höre ich öfter, wenn ich wieder ins Unternehmen komme, dass die das immer noch regelmäßig machen.
Welches ist Deine bevorzugte Branche? Was ist das Besondere bei den Führungskräften in diesem Bereich?
Eigentlich habe ich keine bevorzugte Branche. Ich komme aus der Finanzdienstleistungsbranche, deshalb kann ich das schnell nachvollziehen, worum es da geht. Aber ich bin auch in anderen Bereichen tätig. Im Energiedienstleistungssektor war ich neulich unterwegs. Umstrukturierung, Digitalisierung – das ist überall Thema. Was mir sehr am Herzen liegt, ist der soziale Bereich. Das macht auch sehr viel Spaß, die Leute zu unterstützen, die mit Behinderten arbeiten. Die haben extreme Schwierigkeiten, Personal zu bekommen, daher ist es besonders bedeutsam, dass sie pfleglich mit denjenigen umgehen, die sie haben. Die tun da auch viel. Da hat sich in den letzten Jahren schon viel getan, weil sie sich dessen bewusst geworden sind.
Im sozialen Bereich sind Führungskräfte der zentrale Stellhebel, um Fluktuation zu verhindern und um Mitarbeiter gesund und leistungsfähig zu halten.
Hierin sehe ich einen Unterschied zur Finanzdienstleistungsbrache, die teilweise eher Arbeitsplätze abbaut. Da steht Gesund-Führen nicht so im Fokus. Bei der Finanzdienstleistungsbranche ist die größte Herausforderung nach wie vor die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen. Einfache Tätigkeiten werden in der Dunkelverarbeitung erledigt, übrig bleiben im Kundenservice die schwierigen Themen, beispielsweise Beschwerden. Die Qualifizierung der Beschäftigten wird wichtiger, das sogenannte lebenslange Lernen ist zur Realität geworden. Außerdem hält in den Kundenservice-Einheiten nach wie vor der Trend in Richtung Großraumbüros an. Dann entstehen häufig Konflikte. Das beginnt bei dem Thema, wer sitzt denn wo und endet nicht mit den Klagen über zu laute Telefongespräche des Kollegen. Dabei sollten sie die Mitarbeiter einbeziehen – das Thema kann ich dort im Gesund-Führen-Seminar sehr gut einbringen. Oder mobile Arbeit: Führungskräfte und Mitarbeiter können von zu Hause aus arbeiten, das birgt Chancen und Risiken. Z.B. wenn die Führungskraft abends oder am Wochenende eMails verschickt, dann übt sie damit Druck aus, obwohl sie das vielleicht gar nicht will.
Was war Deine schönste Erfahrung in einem Gesund-Führen-Seminar? Ggf. auch: und was war die schlimmste – was hast Du daraus gelernt?
Das ist eine echt schwierige Frage.
Es gab viele schöne Erfahrungen, weil das Seminarkonzept wunderbar funktioniert.
Ich hatte mal einen Chef im Seminar, der sich wirklich aufgerieben hat. Der hat die Mitarbeiter am Krankenbett besucht, das war angenehm für die! Der hat Mitarbeiter selbst zum Arzt gebracht. Solche Dinge. Ich habe mich gewundert, dass der überhaupt zum Arbeiten kam. Der hat sich so aufgerieben für seine Mitarbeiter. Der sagte: „Und jetzt auch noch gesund führen!“ Er meinte, er tut doch schon so viel. Er kann ja nicht alles richten. Das war ein echter Druck für den. Im Seminar gab es ja dann diesen Teil mit den Grenzen, da hat er sich bedankt, dass ich ihm diese Übersicht vorgestellt habe. Er meinte: „Das entlastet mich, das nimmt wirklich Druck von mir.“
Vorher als Personalentwicklerin und als Führungskraft hatte ich ja schon schwierige Situationen im Leben; vielleicht kann ich mich deshalb kaum an schwierige Situationen als Gesund-Führen-Trainerin erinnern. Einmal hatten wir extreme Hitze, so wie jetzt gerade, und wir hatten einen schwierigen Seminarraum. Und dann haben wir es einfach um 15 Uhr gut sein lassen. Das war einfach nicht mehr machbar.
Schwierig ist es, wenn Teilnehmer eigentlich nicht da sein möchten. Die sind dann nur da, weil sie verdonnert wurden. Das habe ich selten, weil ich das mit den Auftraggebern vorher bespreche, dass es besser ist, das Gesund-Führen-Seminare auf freiwilliger Basis anzubieten. Wenn einer verpflichtend drin sitzt, versuche ich, alles, was der bringt, zu bekräftigen, damit er noch mehr bringt.
Welche Voraussetzungen müssen Deiner Meinung nach gegeben sein, damit ein Gesund-Führen-Seminar erfolgreich ist? Seitens Seminarleitung, seitens Unternehmen, seitens der Führungskräfte?
Ich glaube, mir hilft es viel, dass ich diese Erfahrung mitbringe. Dadurch habe ich schon ein hohes Maß an Akzeptanz, weil ich viele Beispiele aus meiner Führungstätigkeit einbringen kann.
Die Voraussetzung seitens der Führungskräfte: Ich glaube, Freiwilligkeit ist ein wichtiges Thema. Die müssen einen Nutzen sehen für sich selbst. Wenn sie erfahren, welche Möglichkeiten es gibt, mit Stress besser umzugehen, zum Beispiel, haben sie einen Nutzen davon.
Von Seiten des Unternehmens: Ich bin aus der alten Schule. Top-Down finde ich eine gute Sache. Die Seminare beginnen mit der obersten Führungsetage.
Es kommt nämlich immer wieder der Punkt, an dem die Führungskräfte fragen: „War mein Chef denn auch schon hier?“ Dann ist es prima, wenn man sagen kann: „Ja, der war schon hier.“
Das ist auch wichtig, damit alle wissen, worum es geht. Damit sie hoffentlich nach der Veranstaltung ein Gespräch haben mit ihrer eigenen Führungskraft, damit die sie beim Transfer unterstützen kann.
Freiwilligkeit, Top-Down, Glaubwürdigkeit – das sind für mich die wichtigsten Prinzipien.
Für Glaubwürdigkeit kann ich noch ein Beispiel nennen. Da gab es in einem Unternehmen eine Vorgabe für die obersten Führungskräfte: Sie dürfen nur 14 Tage Urlaub am Stück machen, nicht länger. Da fragten die Führungskräfte: „Und was ist mit meiner Gesundheit?“ Das war für mich eine Frage der Glaubwürdigkeit. Auch die Ungleichbehandlung: dass unterschiedliche Bedingungen gelten für Menschen in der Produktion versus in der Verwaltung.
Warum bist Du die / der Richtige für Gesund-Führen-Seminare? Was ist das Besondere an Dir? Was sind Deine Stärken?
Ich war selbst Führungskraft und hab es in der Zeit, als ich für 600 MA verantwortlich war, geschafft, mich um meine Gesundheit zu kümmern. Ich bin nicht längerfristig ausgefallen, anders als Kollegen von mir.
Das ist wichtig, dass ich das weiß, dass man auch als Führungskraft gesund bleiben kann, indem man auf sich achtet. Das merken auch die Mitarbeiter.
Betriebssport hatten wir, zum Beispiel. Da gab es Karate-Training, und ich bin zweimal die Woche um 7 Uhr zum Karate gegangen und war dann erst um 9 im Büro. Einzelne MA von mir haben da mitgemacht. Andere Führungskräfte haben das nicht gemacht, da war ich Vorreiterin. Da hatte ich schon ein Bewusstsein dafür, dass das zusammen gehen kann: die eigene Gesundheit und die Tätigkeit als Führungskraft. Daher passt das gut zu meinem jetzigen Lebensabschnitt. Denn auch als Selbständige ist es wichtig, dass man auf sich selbst achtet. Denn da gibt es keinen Chef, der das macht!
Wie bist Du damit umgegangen, wenn Du den Eindruck hattest, das Seminar soll eigentlich nur ein Pflaster sein – während in Wirklichkeit die Verhältnisse krank machen? Hattest Du schon einmal den Eindruck, dass Dein Seminar missbraucht wird? Was hast Du getan?
Ich spiegele das meinen Auftraggebern und empfehle die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Die ist ja ohnehin gesetzlich vorgeschrieben. Vor allem habe ich das Gefühl bei Seminaren für Mitarbeiter zur Stressbewältigung, weniger bei Gesund-Führen-Seminaren. Da spreche ich mit dem Auftraggeber und gebe ihm Feedback. Erst kürzlich habe ich im Nachgang zum Stressbewältigungsseminar mit dem Auftraggeber ein Feedbackgespräch geführt und gesagt: „Leute, es wäre gut, wenn ihr an den Ursachen arbeiten würdet und die Mitarbeiter befragen würdet.“ Auch hier wäre die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ein hilfreicher Einstieg gewesen: Zunächst die Belastungen zu analysieren und gemeinsam mit den Mitarbeitern nach Lösungen zu suchen, um Ressourcen aufzubauen und Belastungen zu reduzieren. Leider ist man diesem Vorschlag nicht gefolgt. Denn viele Unternehmen scheuen zunächst mal, sich um die Arbeitsbedingungen zu kümmern.
90 Prozent aller Unternehmen setzen zunächst mal am Verhalten der Beschäftigten an. Die sollen stressresistenter oder resilienter werden. Doch ohne die Rahmenbedingungen anzupacken klappt das meistens nicht.
Welche Tipps hast Du für angehende Gesund-Führen-Trainer/innen?
Nicht mit erhobenem Zeigefinger kommen, egal welchen Erfahrungshintergrund man hat. Das macht sich nicht gut. Sondern ganz unvoreingenommen jede kritische Äußerung als Lernmöglichkeit sehen. Aus jeder Situation kann man was lernen.
Und die Haltung zu haben: Führungskräfte haben es in der VUCA-Welt nicht leicht. Die haben eine Mega-Aufgabe zu stemmen, Druck von oben und unten, hohe Ziele. Daher braucht man die Haltung: Die tun ihr Möglichstes, die wollen nichts Böses, die haben einfach Druck.
Das fällt mir leicht, weil ich selbst in dieser Situation war.
Mein Tipp für selbständige Gesund-Führen-Trainer/innen wäre noch, was ich im Zuge der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen erlebt habe: Ich habe mich an die IHK gewandt bei mir hier in der Region und dort einen Workshop angeboten für Fachkräfte für Arbeitssicherheit, damit die das Verfahren kennenlernen. Das hat mir ein paar Kunden beschert. Das kann man für Gesund-Führen-Seminare genauso handhaben. Wenn man den persönlichen Kontakt nutzt, bringt das deutlich mehr als Newsletter, ist meine Erfahrung. Man muss halt reinkommen. IHK, Arbeitgeber-Verbände, Gewerkschaften, um das persönlich vor Ort vorstellen zu können.
Was tust Du für Deine eigene Gesundheit?
Also, natürlich bin ich gut eingebettet in meine Familie. Ich habe das große Glück, dass es meinen Eltern noch sehr gut geht, obwohl beide schon über 80 sind. Wir treffen uns und telefonieren auch regelmäßig. Mein Mann ist natürlich eine große Stütze; und auch Freunde. Ich treffe mich regelmäßig mit anderen, hauptsächlich am Wochenende. Das ist für mich wichtig: Soziale Kontakte.
Das andere ist Sport: Ausdauer, zum Beispiel Schwimmen. Zum Joggen ist es aktuell zu heiß. Mein neustes Hobby ist Karate, da bin ich jetzt beim ersten braunen Gürtel. Mein Ziel ist, mit 65 den schwarzen Gürtel zu erwerben. Das füllt mich sehr aus, wenn man eine Prüfung macht. 3- bis 4mal die Woche Training ist dann angesagt. Seit 8 Jahren mache ich das jetzt. Das begann als Betriebssportgruppe. Damals wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte auf einen Schnupperkurs; dreimal nur. Und weil der Typ nett war, habe ich ja gesagt. Das hat mich völlig angefixt. Aufgrund der Selbständigkeit musste ich ja dann den Verein wechseln. Ich versuche da weiterzukommen – das ist ein Sport der auch für Ältere geeignet ist, zur Sturzprophylaxe, für Beweglichkeit, für Koordination und für soziale Kontakte. Das macht man ja nicht allein.
Gibt es sonst noch etwas, das Du loswerden möchtest? Das Dir wichtig ist?
Die Verhältnisprävention: Da ist Gesund-Führen ein Baustein. Bei Stress setzt man beim einzelnen an; und die meisten setzen überhaupt nur beim Verhalten an und gehen ungern an die Änderung der Verhältnisse.
Der Ansatz ist zwar auch das Verhalten der Führungskräfte, aber dadurch werden die Verhältnisse beeinflusst. Das ist viel wirkungsvoller. Das finde ich wichtig für Gesundheitsmanager.
Die orientieren sich sehr stark am Verhalten und machen gerne Angebote von A wie Aerobic bis Z wie Zumba. Und wundern sich dann, dass immer die gleichen zu den Kursen kommen.
Und dann hattest Du ja neulich die BAuA-Broschüre empfohlen. Da stand etwas Gutes drin zum Thema Nudging (Anmerkung: „Nudging“ meint das Beeinflussen von menschlichem Verhalten ohne Zwang durch das Verändern der Umgebung, in der die Entscheidung getroffen wird).
Die Auftraggeber fragen ja immer, was kann man denn tun, damit die Leute wirklich in die Seminare kommen?
Das Nudging halte ich für sehr sinnvoll, denn so kann man diesen Konflikt zwischen Pflichtprogramm und Freiwilligkeit gut umschiffen: Man macht die Anmeldung zu den Gesund-Führen-Seminaren obligatorisch. Und wer nicht teilnehmen will, kann sich abmelden. Die Trägheit führt aber dazu, dass die Leute kommen.
Liebe Ursula,
ganz herzlichen Dank für diese prima Tipps für interne und externe Gesund-Führen-Trainer*innen – und für den spannenden Einblick in Deine Entwicklung in Sachen Herzensangelegenheit!
Mehr über diese Interviewpartnerin:
Ursula Dangelmayr
Dipl.-Psychologin
57 Jahre, Wohnort: Ottenbach
Hobby: Karate (3. Kyu = brauner Gürtel)
Inhaberin von UD-Gesundheitsmanagement in Göppingen
Trainerinnen-Profil von Ursula Dangelmayr (pdf-Datei zum Downloaden)