Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, warum Sie als BGM-Akteur/in ein Herz für Chefs haben sollten - und was das für Ihre praktische Arbeit bedeutet.
Verständnis und ein Herz für Chefs – und Chefinnen …
Tatsächlich leiden Führungskräfte unter vielen Arbeitsbelastungen: hohes Tempo, hohes Volumen, zahlreiche Unterbrechungen, geringe Planbarkeit, kaum Zeit für Pausen, flotter Wechsel zwischen Wichtigem und Banalem, Kapazitätsengpässe, Unklarheit hinsichtlich Zielen und Strategien, Konflikte (mit Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten), mangelnde Rückmeldung (damit auch Anerkennungsmangel) und fehlende Rückendeckung, mentale Beschäftigung mit dem Job nach der Arbeit, dadurch bedingt Belastungen des Familienlebens.
Hinzukommt, dass sie sich häufig wie zahnlose Tiger fühlen – ohne jegliche Befugnisse verkommen sie zur Witzfigur. Frage an die obersten Chefs unter den Leserinnen und Lesern: Sind Ihre Führungskräfte wirklich Führungskräfte? Dürfen sie Anweisungen geben, selber Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen? Oder sind sie nur machtlose Marionetten, die Ihre Entscheidungen umzusetzen haben, so dass die Mitarbeiter sich bei Fragen direkt lieber an Sie wenden?
Die Einsamkeit der Vorgesetzten
Ein weiterer typischer Belastungsfaktor für Führungskräfte ist die schon sprichwörtliche Einsamkeit des Vorgesetzten: Je höher man in der Hierarchie nach oben steigt, desto weniger echte Offenheit gibt es. Austauschmöglichkeiten über Belastungssituationen gibt es – aus Sicht der Betroffenen – nur außerhalb des Unternehmens, also in der Partnerschaft oder bei einem Coach. Innerbetrieblich wird ein Pokerface gezeigt, Verletztheiten werden möglichst kaschiert. Man glaubt, man müsse Stärke zeigen in jeder Situation. Das Verbergen von Ängsten erfordert viel Kraft. Suchtmittelmissbrauch ist eine mögliche Folge.
Anerkennung oder negative Kritik, also jede Form von Feedback, ist selten – wer traut sich schon, einer Führungskraft zu sagen, was er von ihren Verlautbarungen hält? Dazu braucht es schon Menschen mit starkem Rückgrat (ermutigen Sie bitte diejenigen, die diesen Mut aufbringen!). Oder ein anderes Klima, in dem kollegialer Austausch als Ausdruck von Professionalität statt von Versagen („die Lusche schafft es nicht alleine“) gesehen wird. Das gibt Orientierung, Halt und damit Sicherheit.
Kollegiale Beratung verbessert Empathie und erhöht Problemlösekompetenz
Ein Weg dorthin ist die Einführung der so genannten Kollegialen Beratung. Hierbei unterstützen sich die Führungskräfte nach einem strukturierten Ablauf (6 Phasen in ca. 60 Minuten) gegenseitig bei zwischenmenschlichen Problemen ihres Führungsalltags. In Kleingruppen werden dabei Fälle bearbeitet, die für einen der Teilnehmenden mit Belastungen verbunden sind. Zum Beispiel „ich habe einen Mitarbeiter, der spaltet mir das Team“ oder „eine ehemals engagierte Kraft hat sich total zurückgezogen“ oder „mein Team besteht aus zwei gegeneinander arbeitenden Gruppen“.
Zur Problemlösung wird das Erfahrungswissen der anderen Führungskräfte angezapft. Von dem Vorgehen profitieren letztlich alle: Die Führungskraft, die den Fall vorgestellt hat, erhält Handlungsideen (oder auch Bestätigung, was ebenfalls wertvoll ist); die anderen professionalisieren ihr Führungsverhalten, auch für den Fall, dass sie einmal selber in ähnliche Situationen geraten, und letztlich profitieren auch die Beschäftigten von handlungssicheren Führungskräften. Alle machen Erfahrungen wie: Problematische Fälle gibt es in jedem Team, die anderen kochen auch nur mit Wasser, ich bin nicht allein. Nebenher wird die Vernetzung der teilnehmenden Abteilungen verbessert, was dem Betrieb insgesamt zugute kommt.
Die Denke der Führungskräfte verstehen
Die wenigsten Führungskräfte haben eine Ausbildung im sozialen Bereich genossen. Die Folge: Die Leute ticken anders als Sie. Es gibt zum Beispiel keinen Grenzwert für psychische Belastungen. Das verunsichert insbesondere technisch orientierte Menschen, die es gewohnt sind, in Maßeinheiten zu denken. Viele Arbeitsschützer wurden so ausgebildet, dass sie anhand von Zahlenwerten ermitteln konnten, ob eine Gesundheitsgefährdung vorliegt oder nicht.
Psychische Belastungen aber entziehen sich der direkten Messbarkeit. Man kann sie nur indirekt erfassen, indem man die Beschäftigten befragt. Und dann sind die ermittelten Werte auch noch von Mensch zu Mensch verschieden – ein weiteres Ärgernis für Ingenieure und andere technik-affine Menschen. Angesichts identischer Noxen (Schadstoffe, also hier zum Beispiel: unter demselben Chef) reagiert der eine mit einem Schulterzucken, während der andere Magengeschwüre bekommt.
Jetzt hab ich Sie schon 3mal pro Stunde gelobt, insgesamt 18mal.
Wieso fühlen Sie sich denn immer noch belastet?
Ursache-Wirkungs-Verhältnisse verlaufen im zwischenmenschlichen und im psychischen Bereich nicht linear. Bislang hat man es sogar mit Zirkelreaktionen zu tun (A findet B unsympathisch und grüßt ihn nicht, B fühlt sich beleidigt und sabotiert daraufhin ein aktuelles Projekt von A, A katapultiert daraufhin B aufs berufliche Abstellgleis).
Solche Reaktionsketten lassen sich nicht in naturwissenschaftlichen Formeln abbilden. Das erschwert ihr Verständnis noch einmal. Und dann fehlen auch noch, wie angesprochen, die Grenzwerte. Auch das ist ungewöhnlich …
Führungskräften das Gesund-Führen erleichtern
Sie möchten den Führungskräften in Ihrem Unternehmen das „Gesund führen“ erleichtern? Preschen Sie vor! Ein Einstieg: Das Zugeben von Schwächen. Es macht nicht nur sympathisch, es verbessert auch das Betriebsklima. Wenn man gemeinsam über Missgeschicke lachen kann, schweißt das zusammen. Seine Schwächen zu verbergen, das hat eigentlich nur derjenige nötig, der sich insgeheim selbstunsicher fühlt. Wahrlich souveräne Menschen können mit ihren Schwächen sogar kokettieren. Damit erleichtern Sie Führungskräften in Ihrem Unternehmen ein bisschen das Gesund-Führen.
Jeder kann dazu beitragen, die Offenheit zu vergrößern, indem er ab und zu eine – kleine – Schwäche zugibt („typisch ich: übersehe den Parkplatz vor meiner Nase“ oder „und wie ich das immer so mache, schütte ich mir prompt eine Tasse Kaffee über die neue weiße Hose“). Damit vergibt man sich nichts, und man signalisiert: Ich bin ein Mensch, und mir ist nichts Menschliches fremd. Das taut auch die anderen auf. Sie können so zum Beispiel als Personaler oder Betriebsrat ein bisschen für Auflockerung sorgen.
Wertschätzung für Führungskräfte und ihre Teams
Weisen Sie immer wieder darauf hin, wie toll es ist, dass die Führungskräfte ihre Ziele mit ihrem Team (!) gemeinsam erreicht haben. Sie machen damit deutlich: „Chefs, ohne eure Leute seid ihr nix – und das könntet ihr denen auch mal sagen!“ Das fördert im Idealfall die Wertschätzung, die die Vorgesetzten für ihre Mitarbeiter empfinden. Auch Sätze wie „Sie können echt stolz sein auf sich (!) und Ihr Team!“ erleichtern es Führungskräften, ihren Leuten mit Respekt zu begegnen: Wenn sie stolz auf sich sind, werden sie auch großzügiger mit der Anerkennung für andere.
Zeigen Sie sich selbst als Mensch – mit Fehlern, Schwächen und Humor. Machen Sie kein Hehl aus Ihren Gefühlen. Daniel Goleman(21) plädiert für „Emotionale Führung“. Er meint, es sei motivierend und gesund, seine Emotionen nicht zu verstecken, sondern sein Team damit anzustecken und mitzureißen. Notfalls sogar mal mit schlechter Laune. Hauptsache Gefühle. Diese Signale sind wichtig vor allem dann, wenn Sie es mit pokerface-tragenden Führungskräften zu tun haben. Tauen Sie sie auf mit Ihrer Emotionalität! Strahlen Sie sie an, wenn Sie sich freuen.
Letztlich tut es jeder Führungskraft gut, wenn sie so behandelt wird, wie sie eigentlich die anderen behandeln sollte: mit Respekt, Interesse am Individuum, Freundlichkeit, Achtung ihrer Bedürfnisse, Feedback (ja, trauen Sie sich!). Meine Empfehlung lautet also: Machen Sie es vor! Egal in welcher Funktion Sie tätig sind: Sie prägen damit das Befinden der Führungskraft mindestens für die nächsten fünf Minuten. Und langfristig beeinflussen Sie vielleicht sogar ihr Verhalten.
Ich habe ein Unternehmen kennen gelernt, in denen tatsächlich die Sicherheitsfachkraft der eigentliche „starke Mann“ im Unternehmen war: Der Mann pflegte einen so wertschätzenden achtungsvollen Umgang mit allen Führungskräften, dass er damit sogar einen seitens der Konzernleitung eingesetzten kaltherzigen Eisklotz über die Jahre „vermenschlicht“ hatte. Er hatte es geschafft, mit seinem Verhalten das seines Vorgesetzten zu prägen. Dabei hatte er sich nie verbogen oder gar die Funktion des Chefs in Frage gestellt, nein, er zeigte einfach konsequent Respekt und Wertschätzung und ließ sich darin nicht beirren oder „erkälten“, um in dem Bild zu bleiben.
Bitte keine Samstags-Veranstaltungen
Aus Respekt vor Ihren Führungskräften sollten Sie auch keine Samstags-Seminare oder -Gesundheitstage durchführen. Leider hat es sich eingebürgert, Veranstaltungen zum Thema Gesundheit zur Hälfte aufs Wochenende zu legen. Das ist nicht nur trainerfeindlich (saftige Zuschläge sind die Quittung dafür, bis zum 5fachen des normalen Honorarsatzes), es gibt auch den Führungskräften das falsche Signal. Die Begründung von Seiten der Firmenleitung lautet „Gesundheit ist ja auch Privatsache“. Das stimmt schon. Aber das Signal, das ankommt, lautet: „Gesundheit geht auf Kosten Eurer Freizeit!“
Und beim Thema „Gesund führen“ ist das Signal noch fataler, denn es bedeutet: „Gesunde Führung ist mit Mehraufwand verbunden – du musst privat in deiner spärlichen Freizeit draufzahlen, wenn du deine Leute gesund führen willst; Gesundheit kostet dich also Lebensqualität.“ Ganz ehrlich, wer hätte dann noch Lust auf das Thema? Ich nicht. Abgesehen davon, dass sich in einem einigermaßen normal gestrickten Betrieb gesunde Führung quasi en passant erledigen lässt und nicht mit wesentlich mehr Zeitaufwand verbunden ist.
Kommen Sie doch bitte am Samstag und Sonntag um 8.00 Uhr in die Firma.
Das Seminar dient schließlich Ihrer Gesundheit. Oder wollen Sie dafür nicht Urlaub nehmen?
Ich halte das Signal daher für fahrlässig. Die Maßnahmen sind zum Misserfolg verdammt. Gesundheit sollte nichts sein, das noch obendrauf, also zusätzlich, erledigt werden muss. Stattdessen sollen die Führungskräfte erkennen, dass sie alles, was sie tun, gesundheitsbewusst angehen können – also mit einem salutogenen Selbstverständnis, ohne dass dies zusätzliche Aufgaben bedeuten würde.
Und noch ein wichtiger Punkt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen Ihre Gesundheitsförderungsaktionen als Ausdruck von Wertschätzung empfinden, als Ausdruck Ihrer „do care!“-Kultur. Dieser Effekt geht verloren, wenn Sie die Maßnahmen in die Freizeit legen. Auch von einer anteiligen finanziellen Beteiligung (um zu zeigen: „Gesundheit ist auch Aufgabe des einzelnen“) würde ich Ihnen abraten.
Psychologisch wirkt hier nicht das Dissonanzprinzip („ich habe ja dafür bezahlt, also steh ich auch dahinter“), sondern der finanzielle Beitrag des Betriebs geht unter angesichts des Gedanken „Ich hab das selber bezahlt“. Das Wertschätzungssignal kommt also nicht an.
TIPPS FÜR SIE ZUM THEMA: EIN HERZ FÜR CHEFS
- Wertschätzen Sie, was die Führungskräfte mit ihren Teams geschafft haben. Das zeigt: Ihr seid aufeinander angewiesen.
- Haben Sie Verständnis für technisch-denkende Menschen! Die haben es so gelernt. Leben Sie die Vorbildfunktion!
- Verzichten Sie auf Wochenend-Veranstaltungen! Sie würden damit das Signal geben, gesunde Führung koste Freizeit.
Hier links sehen Sie noch einmal das Buch, aus dem dieses Kapitel entnommen ist.
Und jetzt freue ich mich sehr, wenn Sie Lust haben, einen Kommentar zu hinterlassen. Vielleicht haben Sie ja ähnlich (oder genau andere?) Erfahrungen gemacht? Dann wäre es toll, wenn Sie sie hier mit uns teilen.