Überlastungsanzeige – Wie sollten Sie reagieren?

Im Bereich der Pflege kennt man das Instrument der sog. Überlastungsanzeige: Wenn sie die Erfüllung ihrer Arbeitsaufgabe in Gefahr sehen, haben die Beschäftigten quasi die vertragliche Verpflichtung, ihre Führungskraft auf diese Befürchtung hinzuweisen. Wie reagieren Sie am besten?

Zum Umgang mit Überlastungsanzeigen

(Ergänzung zum Gesund-Führen-Podcast, Folge 18)

Das Instrument der Überlastungsanzeige ist in der Pflege unter Umständen insofern sinnvoll, als man Pflegetätigkeiten in der Regel nicht aufschieben kann, sondern sofort erledigen muss. Darin unterscheidet sich die Pflege von anderen Arbeitsbereichen. Aber das Einführen von Überlastungsanzeigen ist auch dort ein zweischneidiges Schwert – und in jedem Fall ist es viel sinnvoller, miteinander ins Gespräch zu gehen, als zu so einem Instrument zu greifen. Da sind wir uns sicher einig.

Falls es offiziell das Instrument der Überlastungsanzeige bei Ihnen gibt, sind Sie bzw. ist der Arbeitgeber verpflichtet, für Abhilfe zu sorgen.

Es kann Sie als Führungskraft entlasten (auch wenn Sie es vielleicht im ersten Moment als Angriff oder Ausdruck von Misstrauen verstehen).
Das kann aber auch – je nach Klima – die Fronten verhärten. 

Der wichtigste Tipp lautet daher:
Werden Sie im Vorfeld aktiv durch Ent-Stressung, und fragen Sie die Beschäftigten, welche Vorschläge sie selbst haben,
um die Situation zu entspannen.

Arbeitsbelastungen nehmen zu, das wissen alle. Und gute Führungskräfte bemühen sich nach Kräften, ihr Team vor Überlastung zu schätzen. Was Sie diesbezüglich tun können, können Sie bzw. hier lesen unter dem Stichwort „Belastungspuffer“. Trotz aller Bemühungen kann es passieren, dass Ihren Leuten das nicht genügt. Was sollten Sie als Führungskraft tun, wenn jemand aus Ihrem Team (oder das gesamte Team) eine Überlastungsanzeige einreicht?

 

Wie kommt es zu einer Überlastungsanzeige?

Was passiert, wenn zu viel Arbeit anfällt? Man verschiebt Unwichtiges nach hinten oder man überdehnt sein Arbeitszeitkonto. Aber irgendwann geht das nicht mehr. Die Folge: Mängel in der Qualität und ein Riesenvorrat an Arbeit, im Dienstleistungssektor ein weniger freundlicher Umgang mit Kunden oder Ähnliches. Und natürlich wird auch die Gesundheit gefährdet, etwa wenn Überstunden aufgehäuft werden ohne Ende.

Bevor (!) sich Mängel zeigen, sollte die oder der Beschäftigte die Führungskraft informieren.

Die tut, was ihrer Macht steht (meist nicht viel), vor allem gibt sie soziale Unterstützung (siehe Gesund-Führen-Podcast 17) und bildet so eine Art Belastungspuffer. Wenn dies nicht genügt und weiterhin Mängel drohen, unter denen ja letztlich das gesamte Unternehmen leiden würde, ist es Zeit für eine Überlastungsanzeige.

 

Eine Überlastungsanzeige – was ist das überhaupt?

Wenn sie die Erfüllung ihrer Arbeitsaufgabe in Gefahr sehen, haben die Beschäftigten quasi die vertragliche Verpflichtung, ihre Führungskraft auf diese Befürchtung hinzuweisen. Natürlich besteht die Sorgfaltspflicht weiterhin, also der Mitarbeiter muss sich weiterhin darum bemühen, seinen Aufgaben nachzukommen, er darf dann nicht einfach das Arbeiten dran geben. Aber er hat seine Führungskraft auf organisatorische Mängel hingewiesen, die dieser nun abstellen muss. Und er selber ist haftungsmäßig fein raus, sofern er weiterhin sorgfältig arbeitet.

In der Überlastungsanzeige finden sich in der Regel konkrete Hinweise auf die Art der Überlastung und die Bitte, Abhilfe zu schaffen sowie die Versicherung, dass auch weiterhin sorgfältig gearbeitet wird. Damit sind Sie als Führungskraft in der Verantwortung (mal ganz abgesehen von der ohnehin vorhandenen Fürsorgepflicht und Maßnahmen wie der Gefährdungsbeurteilung, die auch psychische Fehlbelastungen einschließt). Ich kann Ihnen hier keine rechtlichen Tipps geben, das entspricht ja gar nicht meiner Ausbildung. Aber ich kann Ihnen sagen, was aus psychologischer Sicht sinnvoll ist. Für das Juristische haben Sie sicher in Ihrem Betrieb eigene Experten.

 

Wie sollte Ihre erste Reaktion sein?

Ganz wichtig für Ihre erste Reaktion: Es ist nicht Bösartigkeit, wenn Überlastungsanzeigen formuliert werden. Bitte vergessen Sie nie: Es steht quasi im Arbeitsvertrag (indirekt), dass der Beschäftigte das Recht und die Pflicht hat, seine Führungskraft darauf aufmerksam zu machen, wenn er sich überlastet fühlt, also seine Arbeit nicht mehr mit der nötigen Sorgfaltspflicht oder im erforderlichen Umfang erledigen kann. Für die Mitarbeiter ist eine Überlastungsanzeige zugleich auch eine Ent-Lastungsanzeige. Man signalisiert damit quasi: Ich bin nicht verantwortlich, wenn jetzt – trotz meines weiteren Bemühens um Einhalten der Sorgfaltspflicht – dem Patienten oder Kunden ein Schaden widerfährt.

Der Beschäftigte selber ist also quasi fein raus. Nur Sie als Führungskraft nicht.

Dass man einen Beschäftigten darauf hin nicht anranzen oder irgendwie diskriminieren sollte, ist klar. Die Menschen müssen sich trauen, den Mund aufzumachen (noch bevor es zu einer Überlastungsanzeige kommt). Mut hierfür auszusprechen, wird vielen Führungskräften vielleicht schwer fallen – es wäre aber eine sinnvolle, sachlich-richtige Reaktion. Da aber das Wichtigste ist (meiner Meinung nach), dass Sie sich als Mensch nicht verstellen, sollten Sie ruhig sagen: „Das schockt mich jetzt. Dass es SO krass ist, hätte ich nicht gedacht.“ Machen Sie dem Beschäftigten gegenüber deutlich, dass seine Überlastungsanzeige keine negativen Folgen für ihn haben wird.

 

Wie können Sie die Situation bewältigen?

Man ist als Führungskraft erst einmal entsetzt. Man fühlt sich an den Pranger gestellt, als hätte man selber etwas verbrochen – dabei fühlt man sich ja selber unter Druck. Und in gewisser Weise setzt eine Überlastungsanzeige die Führungskraft noch einmal zusätzlich unter Druck: Wenn sie nämlich jetzt nicht reagiert, verletzt sie ihre Fürsorgepflicht. Es KANN ein Hinweis auf fehlendes Vertrauen oder mangelhafte Gesprächskultur sein, wenn Mitarbeiter zu diesem Mittel greifen.

Aber es kann auch „einfach“ – vor allem, wenn man vorher schon darüber gesprochen hat – Ausdruck von Hilflosigkeit sein: „Wir können nicht mehr. Es ist zu viel.“ Ein Notruf – nicht nur im Sinne der Gesundheit des einzelnen sondern auch vor dem Hintergrund, Schaden vom gesamten Unternehmen abzuwenden. Das sollte schließlich beides auch im Interesse der Führungskraft sein. Und es macht Sinn, sie als Vorgesetzte/r so zu sehen und nicht als Pranger. Sehen Sie es positiv: Der Mitarbeiter hätte sich theoretisch auch als erstes an die Personalabteilung oder die Berufsgenossenschaft wenden können (das wäre allerdings feige gewesen).

Es ist eigentlich selbstverständlich, aber vor lauter Stress, Anspannung und Entsetzen vergisst man es schon mal:

Fragen Sie den Beschäftigten, welche Vorschläge er selber hat, um die Situation zu entspannen.

Manchmal wagen die Leute einfach nicht, konstruktive Ideen vorzubringen, manchmal haben sie sich auch in die Jammerhaltung verrannt. Zeigen Sie daher Offenheit! Zeigen Sie, dass Sie um eine Lösung bemüht sind. Dass Sie keine Wunder versprechen können, ist auch klar.

 

Und wenn Sie wirklich nicht weiter wissen?

Bitte nie vergessen: Genauso wie Sie fürsorgepflichtig sind für Ihre Mitarbeitenden, ist auch Ihre Führungskraft fürsorgepflichtig Ihnen gegenüber! Holen Sie sie hinzu. Ent-Lasten Sie sich, indem Sie die Verantwortung an Ihre Vorgesetzten re-delegieren. Das ist nicht feige, das ist mutig (Sie müssen schließlich auch mit Belächelt-Werden oder Schlimmerem rechnen – in der Regel werden Ihre Leute sich die Überlastung aber nicht ausgedacht haben).

Sinnvoll ist natürlich, den Personalrat / Betriebsrat einzubeziehen, damit alle am selben Strang ziehen (Hinweis an die, die jetzt aufstöhnen: Ja, so eine Zusammenarbeit zum Wohle aller gibt es sehr wohl). Und wer weiß: Wenn Sie alle zusammen mutig (auch nach oben) stehen, vielleicht verbessert sich ja dann auch etwas an IHREN Arbeitsbedingungen …