Präsentismus
DAS FEHLZEITEN-GLOSSAR
Klassisches
Fehlzeiten-Management
Präsentismus - das bedeutet kurz gesagt:
Arbeiten, obwohl man krank ist.
Sich krank zur Arbeit schleppen.
Oder ausführlicher formuliert:
Mitarbeitende kommen zur Arbeit, obwohl sie gesundheitliche Beeinträchtigungen physischer oder psychischer Art erleben, die berechtigten Anlass bieten, der Arbeit fernzubleiben (< 100% Leistung).
Im klassischen Fehlzeiten-Management kommt der Ausdruck "Präsentismus" gar nicht vor.
Das wundert nicht.
Denn die Menschen, die sich krank in den Betrieb schleppen, sind ja anwesend.
Sie ruinieren also nicht die Quote.
Dass sie weniger leisten, womöglich Kolleginnen anstecken oder ihre Genesung gefährden, bleibt unberücksichtigt.
"Präsentismus" umfasst im Grunde
zwei Arten von Produktivitätsverlusten:
Amerikanische Forscher nehmen dabei eher die Produktivitätseinbußen in den Blick, während die Europäer stärker aufs Verhalten von Mitarbeitenden schauen. Wir in Europa interessieren uns mehr für die dem Verhalten zugrundeliegenden Einflussfaktoren, (gesellschaftlich, individuell, arbeitsbezogen; Motive und Folgen).
Demgegenüber interessieren sich die amerikanischen Forscher mehr für die Kosten, die aufgrund von chronischen Erkrankungen entstehen (Lohaus & Habermann, 2018; dort finden Sie auch eine Übersicht über Fragebögen zur Erfassung von Präsentismus, incl. Items).
Gesundheits- und verhaltensorientierte Definition versus produktivitäts- und defizitorientierte Definitionen stehen einander gegenüber bzw. ergänzen sich, meinen aber eigentlich unterschiedliche Aspekte.
Wir in Europa - und damit auch das klassische Fehlzeiten-Management - reden erst seit kurzem über Präsentismus. Der Grund: Es ist klargeworden, dass es durchaus Geld kostet, wenn kranke Menschen arbeiten.
© Dr. Anne Katrin Matyssek
ZIEL-ORIENTIERTES POSITIVES
Fehlzeiten-Management (ZOFZM)
Im ziel-orientierten positiven Fehlzeiten-Management
gilt es, (nur) gesundheitsschädigenden Präsentismus zu vermeiden.
Diese differenzierte Perspektive ist wichtig, denn es gibt auch eine salutogene Wirkung von Arbeit. Diese zeigt sich besonders bei Rückenschmerzen oder Depressionen.
Das bedeutet: Arbeiten bei Erkrankung ist nicht immer falsch. Präsentismus ist nicht grundsätzlich gesundheitsschädigend.
Manchmal aber eben schon:
Wie ungesund Präsentismus sein kann, zeigt die Whitehall-Studie im öffentlichen Dienst.
Hierbei wurden Männer aus zwei Gruppen verglichen:
Die erste Gruppe hatte 3 Jahre lang keine Fehlzeiten aufgewiesen. Die zweite Gruppe hingegen bestand aus Männern, die sich in dieser Zeit ab und zu krankgemeldet haben.
Während also die erste Gruppe körperliche Signale überhört hat, hat die zweite Gruppe sie ernstgenommen und einen Arzt aufgesucht.
Das Ergebnis dabei:
Die erste Gruppe hatte ein doppelt so hohes Herzinfarkt-Risiko wie die zweite.
Und noch eine zweite Studie belegt die potenziell gesundheitsschädigende Wirkung von Präsentismus:
Wer mehr als 6mal / Jahr trotz eingeschränkter Gesundheit zur Arbeit gegangen ist, hat ein um 74% gegenüber den anderen erhöhtes Risiko für einen Krankheitsausfall, der länger als 2 Monate dauert (Hansen & Andersen, 2009).
Zudem gilt aber: Präsentismus kann auch Teil des Psychologischen Vertrags sein, indem man seine Verbundenheit mit dem Unternehmen unter Beweis stellt (Bierla et al., 2013). Nach meiner Erfahrung tritt dieser Effekt - gemeinerweise - genau bei gesund führenden Führungskräften auf: Die Leute kommen der Führungskraft zuliebe auch krank zum Job.
Das Fazit (weil es offenbar nicht so leicht ist, zwischen "gutem" und "schlechtem" Präsentismus zu unterscheiden:
Es bleibt ein schwieriges Thema, das sich nicht mit einem reinen Blick auf Zahlen messen lässt.
Zur Orientierung und Vertiefung empfehle ich die geniale und sehr gut lesbare Diss von Thomas Jung.
© Dr. Anne Katrin Matyssek