Anwesenheitsverbesserungszwang

veröffentlicht in: Fehlzeiten + Krankheit

Anwesenheitsverbesserungszwang, z.B. durch Zielvereinbarungen, hat viele negative Auswirkungen. Dieses Kapitel aus dem Buch Führung und Gesundheit beschäftigt sich mit der Frage, welche Konsequenzen er auf das Führungsverhalten hat.

Führungskräfte mit Anwesenheitsverbesserungszwang

Häufig werden Seminarveranstaltungen für Führungskräfte eingekauft, weil die Niederlassungsleitung in ihrer Zielvereinbarung stehen hat: „Senkung der Krankenquote um 1%“. Natürlich nehmen Führungskräfte Einfluss auf die Anwesenheitsquote, das bestreitet ja niemand. Aber die Führungskraft ist doch nicht alleine für Anwe­sen­­heitsquote verantwortlich. Es ist wichtig, dass jede Führungskraft sich selbstkritisch fragt, wie sie dazu beitragen kann, dass Menschen gern zur Arbeit kommen; aber genauso wichtig finde ich es, Führungskräfte zu entlasten statt ihnen mit dem Satz zu drohen „Jede Führungskraft hat die Fehlzeiten­quote, die sie verdient“.

Es gibt immer auch Aspekte der Quote, die außer­halb des Einflussbereichs der Vorgesetzten liegen (in der Grafik mit der Waage auf der nächsten Seite hell dargestellt: individuelle Ein­flüsse und Außeneinflüsse). Nach meiner Beobachtung fragen sich in der Praxis immer die Falschen „Könnte ich nicht noch mehr tun?“ – die kränkenden Chefs stellen sich diese Frage nicht. Letztlich sollten das Klima und die Produktivität (als eigentliches Unternehmensziel) immer wichti­ger sein als die Quote.

Anwesenheitsverbesserungszwang nützt nicht: Die Führungskräfte sind nur einer von vielen FaktorenAbbildung: Einflussfaktoren (Auswahl) der Anwesenheitsquote

Zielvereinbarungen zu Gesundheit?

Sollte das Thema Gesundheit in Zielvereinbarungen der Führungskräfte aufgenommen werden? Eine heikle Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Hier muss man Pro und Contra sorgsam abwägen. Natürlich ist es grundsätzlich eine gute Idee, dass Führungskräfte ihr Augenmerk auf das Gesundheits- und Krankheitsgeschehen in ihrem Verantwortungsbereich richten. Das wird durch die Zielvereinbarung ganz sicher erreicht.

In der Praxis heißt „Gesundheit“ in der Zielvereinbarung aber leider „Fehlzeitenquote“. Hier ist die Gefahr groß (und die erlebe ich in der Praxis immer wieder), dass die Führungskräfte Druck ausüben in Richtung Anwesenheit. Jede Erkrankung von Beschäftigten erleben sie als persönliches Versagen. Bisweilen wurden tatsächlich schon Mitarbeiter in der Krankheit angerufen und gefragt, ob sie nicht wenigstens für ein paar Stunden ins Büro kommen könnten, denn dann würde der Tag nicht unter den Geltungsbereich der Zielvereinbarung fallen. Dabei ging es der treibenden Führungskraft weniger um die Prämie, sondern sie wollte „nicht schon wieder die rote Laterne“ im Vergleich mit den anderen Niederlassungen haben.

Wer die Höhe der Fehlzeitenquote in die
Zielvereinbarungen der Führungskräfte mit aufnimmt,
fördert damit eher Druck als ein gesünderes Miteinander.

Aus diesen Gründen ist meine persönliche Meinung: Lassen Sie das mit den Zielvereinbarungen zur Anwesenheitsquote. Sie finden in dem Buch “Führung und Gesundheit” etliche andere menschenfreundlichere Möglichkeiten, um die psychosoziale Gesundheit der Beschäftigten zu verbessern.

Statt Anwesenheitsverbesserungszwang: Gemeinschaftsaktivitäten mit Nebeneffekten

Unternehmen Sie gemeinsam gesunde Aktivitäten. Aber bitte keinen Hochleistungssport, der die meisten von vornherein ausschließen würde! Wenn zehn Leute aus Ihrem Betrieb Marathon laufen, ist das wunderbar für die Läufer, sofern sie sich nicht übernehmen. Aber die große Masse wird sich klein, dick und unsportlich vorkommen, weil sie ihre sportlichen Leistungen mit denen der Läufer vergleicht. Das Resultat ist Frust für die Menge. Das wollen Sie nicht.

Machen Sie Wanderungen oder Radtouren, gehen Sie ins Spaßbad (das für die Topsportler idealerweise auch ein Bahnenbecken bietet), Klettern oder ins Skigebiet mit Idiotenhügel. Kurz: Planen Sie Aktivitäten, an denen alle – vielleicht sogar die Familienmitglieder – ohne Schamgefühle und unabhängig von ihrem sportlichen Leistungsvermögen teilnehmen können. „Lust auf Vitalität“ ist die Devise, nicht „Bewegungszwang durch Gruppendruck“. Sie werden merken: Wenn Sie auf diese Weise die Offenheit für körperliche Aspekte der Gesundheit gefördert haben, wird sich quasi en passant auch das Miteinander verbessern. Nebenher wird auch das Vertrauen wachsen, sich über psychosoziale Gesundheitsaspekte auszutauschen.

Das Thema zur Selbstverständlichkeit machen

Gesundheit muss als Thema selbstverständlich werden. Das fängt bei ganz harm­losen Dingen an wie etwa dem Lüften in Besprechungen. Ich bin schon zu Akquisegesprächen zum Thema Gesundheit eingeladen worden in Räume, deren Luft null Sauerstoff enthielt. Da saßen zehn Leute in einem kleinen Raum bei geschlossenem Fenster. Wasser gab es nicht, stattdessen standen nur zwei Kaffeekannen auf dem Tisch. Die Leute wirkten bei meinem Eintritt in das Zimmer apathisch, sediert, fast wie unter Drogeneinfluss. Wo sollen in so einem Klima freie Gedanken entstehen?

Wichtig ist, dass Führungskräfte und Mitarbeiter überhaupt mehr ins Gespräch kommen – nicht nur über das Thema Gesundheit, aber eben auch darüber. Wenn die Geschäftsleitung Gesundheit regelmäßig zum Thema in Besprechungen macht, werden die untergebenen Führungskräfte dies irgendwann genauso handhaben. Nichts prägt Menschen mehr als Vorbilder. Und die Geschäftsleitung ist Vorbild, ob sie will oder nicht. Also: Machen Sie Gesundheit zum Thema. Gesundheit. Nicht die aktuelle Fehlzeitenquote. Das wäre Krankheit – oder Motivationsmangel – als Thema.

Wenn Sie über Gesundheit sprechen, reden Sie über Arbeitsbedingungen (neue Stühle, Persönliche Schutzausrüstung, Wasserspender), aber auch über Verbesserungsvorschläge, Maßnahmen zur verhaltensorientierten Gesundheitsförderung, Pausenverhalten und überzogene Arbeitszeitkonten. Manchmal hilft die Frage, die angesichts des demographischen Wandels ohnehin sinnvoll ist: „Was muss passieren, damit diese Mannschaft unseren Betrieb für die nächsten 20 Jahre am Laufen halten kann?“

Bitte nicht missionieren

Mit-Tragen und Vorbild-Sein, das finde ich wichtig. Verbal und nonverbal hinter Aktionen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements stehen. Gesundheit immer wieder zum Thema machen. Gesundheit propagieren. Gern auch empfehlen. Aber nicht mehr. Um deutlich zu machen, wie ich das meine, möchte ich Ihnen eine kleine wahre Geschichte erzählen. Sie zeigt, dass gerade die Menschen, die für das Thema Gesundheit brennen, schon mal übers Ziel hinaus schießen und dabei jeden Respekt vor der Individualität anderer vergessen.

Ich hatte mal eine männliche Führungskraft im Seminar, hoch motiviert, ein regelrechter Gesundheitsapostel. Er hatte im Marathonlaufen sein Glück gefunden. Und er hatte einen Mitarbeiter im Team, der an Übergewicht und Bluthochdruck litt. Der Vorgesetzte war der Meinung: „Wenn der 10 Kilo abnehmen würde und dreimal pro Woche 45’ Ausdauertraining macht, dann wäre er beide Probleme bald los.“ Da mag er ja vielleicht sogar recht haben. Bestimmt hätte es dem Mitarbeiter gut getan. Aber: Er ließ den Mitarbeiter eine Art Zielvereinbarung unterschreiben, in der dieser sich zum Abnehmen und zum Ausdauertraining verpflichtete … Ich denke, Sie stimmen mir zu, wenn ich sage: Das war definitiv nicht seine Aufgabe als Führungskraft. Ich als Mitarbeiterin würde mir ein solches Eingreifen in meine Privatsphäre verbitten.

Etwas anders sieht es aus, wenn die Übernahme in ein festes Anstellungsverhältnis schon vor Beginn der Probezeit an bestimmte gesundheitliche Kriterien gebunden ist (z.B. die simple Frage: „Passt der Mann mit seinem Bauch überhaupt auf unseren Lokführerstuhl?“). Hier geht es um die Frage, ob jemand grundsätzlich geeignet ist, einen bestimmten Job auszuüben. Die Antwort kann durchaus von gesundheitlichen Kriterien abhängig gemacht werden, was in der Regel in enger Absprache mit der Personalabteilung und dem Betriebsarzt erfolgt, also nicht im Alleingang der Führungskraft. Das Vorgehen der Führungskraft im oben geschilderten Beispiel war respektlos und ging weit über die Funktion des Vorgesetzten hinaus.

zielvereinbarung-joggenMir geht es in diesem Buch um Führungskräfte und ihren Einfluss auf die psychischen und sozialen Aspekte von Gesundheit. Mein Thema ist nicht der Einfluss der Führungskraft auf die körperliche Gesundheit. Das haben Sie sicherlich schon gemerkt. Natürlich habe ich dennoch eine Meinung zur Aufgabe der Vorgesetzten in puncto körperliche Gesundheit. Die „Rolle der Führungskraft in der (körperlichen!) Gesundheitsprävention“ ist in erster Linie eine Vorbildrolle! Bei allen Bemühungen um das Thema Gesundheit sollte Respekt vor dem Verhalten anderer walten.

Meine Meinung umfasst folgende Statements: „Jeder Jeck ist anders!“ d.h. Respekt auch vor dem, der anders tickt. Man kann niemanden, beispielsweise vom Rauchen, abhalten. Aber man kann immer wieder gesundes Leben vorleben. Vorbild sein ist das A und O. Und dranbleiben! Immer wieder signalisieren: „Mir ist Gesundheit wichtig! Ich werde immer wieder solche Aktionen (Bewegungsübungen, Augenwalking etc.) vorschlagen!“ Man sollte explizit loben, wenn man jemanden zum Beispiel bei Bewegungsübungen beobachtet. Gesundes Verhalten kann man auf diese Weise positiv verstärken. Aber ich warne davor, Menschen dezidiert zum Abnehmen oder zu mehr Bewegung zu raten. Das steht meines Erachtens einer Führungskraft einfach nicht zu.

Gesunde Führungskraft = gesund führende Führungskraft?

Und wenn der oberste Chef Marathonläufer ist? Sie meinen, dann haben Sie leichtes Spiel für Ihr Anliegen, auch die zwischenmenschliche Gesundheit zu verbessern? Mitnichten. Wenn Führungskräfte viel Sport machen, dann führen in dem Unternehmen gesunde Führungskräfte. Aber gesunde Führungskräfte führen nicht unbedingt gesund.

Vorsicht vor dieser gedanklichen Abkürzung. Mir sind schon mehrere Unternehmen untergekommen, in denen die leitenden Führungskräfte sich intensiv sportlich betätigten, aber leider keinen Blick für psychosoziale Bedürfnisse hatten. Die waren zahlenfixiert ohne Ende – beim Joggen wie als Chefs.

Gesunde Führungskräfte
sind nicht automatisch
gesund führende Führungskräfte.

Ich persönlich finde es problematisch, wenn zum Beispiel Gesundheitschecks (hier jetzt bezogen auf körperliche Aspekte der Gesundheit) nur für die Top-Führungskräfte angeboten werden. (Die niederrangigen Führungskräfte erhalten oft ein abgespecktes Körper-Check-Programm und die Mitarbeiter Massen­veranstaltungen zur Stressbewältigung). Als Einstieg und zur Sensibilisierung ist das ja eigentlich gut gedacht, man signalisiert damit aber zugleich: „Einige Menschen in unserem Unternehmen sind uns mehr wert als andere“. Das macht sich doch eigentlich schon im unterschiedlichen Gehalt bemerkbar.

Für mich heißt das so viel wie: „Wir wollen, dass unsere Top-Pferde lange laufen, also hegen und pflegen wir sie.“ – Natürlich kann man das mit der Vorbildfunktion der Führungskräfte rechtfertigen. Aber ich als „normale Mitarbeiterin“ würde mich diskriminiert fühlen. Die Führungskräfte berichten dann voller Stolz: „Ich wurde gemessen mit einem Gerät, das sonst für NASA-Astronauten verwendet wird.“ Ja prima. Eben diese hochsensible und wertschätzende Aufmerksamkeit für sein Wohlergehen wünscht sich vermutlich auch Klaus Kasuppke aus dem Kreis der Facility Management-Assistenten.

TIPPS FÜR SIE ZUM THEMA ANWESENHEITSVERBESSERUNGSZWANG

  • Sprechen Sie sich gegen die Aufnahme der Fehlzeitenquote in die Zielvereinbarungen aus!
  • Das macht nur Druck.
  • Weitere Tipps (das waren ja jetzt nur 2 Sätze …) finden Sie hier: Fehlzeiten-Tipps

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