BGM und Wertschätzung - Beim Thema Gesundheit im Betrieb geht das Eine nicht ohne das Andere: Erfolg im BGM setzt eine wertschätzende Grundhaltung voraus.
Es geht im Grunde um Kultur: Beim BGM, beim BEM
… und im Grunde sogar beim Arbeitsschutz! Viele Unternehmen haben mittlerweile verstanden, dass es sich für sie lohnt, ein Betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen. Zwar meinen viele Betriebe immer noch, Prävention und Gesundheitsmanagement seien ein und dasselbe. Aber immer mehr wollen nicht nur Unfälle und Krankheiten verhindern, sondern auch Wohlbefinden und Gesundheit pflegen und fördern. Und auch die Anzahl derjenigen, die ein systematisches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) implementieren, nimmt zu.
TIPP FÜR SIE:
Bitte nicht frustriert sein, wenn Ihre Gesundheitsangebote nur von wenigen und insgesamt nicht so intensiv und freudig angenommen werden, wie Sie gedacht haben!
In Ihren Augen sind Gesundheitsförderungsangebote ganz sicher Ausdruck von Wertschätzung. Sie meinen es ja gut mit den Leuten und haben ehrbare Motive. Dementsprechend ist Ihre Enttäuschung groß, wenn die Akzeptanz Ihrer Pläne seitens der Adressaten gering ist. Vielleicht tröstet es Sie: Die Erfahrung, die Sie da machen, ist ganz typisch.
Sie sind nicht allein … Das gilt sowohl für Einzelmaßnahmen zur Gesundheitsförderung als auch für ein systematisches prozessorientiertes Vorgehen in Form eines BGMs. Vielleicht sind Ihre Kollegen es noch nicht gewohnt, dass man ihnen wertschätzend begegnet?
Fakt ist: Diejenigen, die mit der Gesundheitsförderung in ihrem Unternehmen gleichsam bei Null anfangen und mit Einzelaktionen wie Yoga-Kursen oder Gesundheitstagen starten, machen häufigeine frustrierende Erfahrung. Es kommt keiner.
Oder: Es kommen diejenigen, die ohnehin immer schon gesundheitsorientiert gelebt haben. Und die freuen sich, wenn der Betrieb das, was sie ohnehin schon tun, nun finanziell oder ideologisch unterstützt.
Beschäftigte spüren, welcher Wind weht (die meisten zumindest)
Und häufig hört man die Klage: „Die, die wir erreichen wollen, bleiben weg.“ Schlimmer noch. Als ich einmal einen Mitarbeiter darauf ansprach, warum er denn nicht zum Gesundheitstag seiner Firma gehen wollte, meinte der doch tatsächlich:
„Die wollen ja bloß, dass ich gesund bleibe!“
Sprich: Er hatte sich bis dahin offenbar nicht wirklich durch sein Unternehmen wertgeschätzt gefühlt. Aktionen, die auf die Förderung seiner Gesundheit abzielten, erlebte er vor diesem Hintergrund als rein zweckgerichtet. Seine Arbeitskraft solle gesteigert werden, und er als Mensch sei dabei nur Mittel zum Zweck.
Natürlich sollte der Mitarbeiter auch selber ein Interesse an seiner Gesundheit haben. Aber dieser – voller Empörung vorgetragene – Satz offenbart einen für die Praxis typischen Zusammenhang, der auch in dieser Abbildung dargestellt wird:
BGM und Wertschätzung: Ein Positiv-Kreislauf (“Engelskreis”)
Wo Beschäftigte sich von ihrem Unternehmen und seinen Vertretern persönlich wertgeschätzt fühlen, verstehen sie Maßnahmen des BGM als Ausdruck von Wertschätzung und „glauben“ die positive Intention. Das gilt übrigens auch für Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz.
Folglich ist die Akzeptanzquote der zugehörigen Maßnahmen hoch. Das BGM kann sich quasi voll entfalten, es erreicht viele Beschäftigte und wird von Erfolg gekrönt sein, wie auch immer man den definiert.
Wo sich die Leute hingegen (noch) nicht wertgeschätzt fühlen, fehlt auch (noch) die Akzeptanz der BGM-Maßnahmen. Und wenn die Kultur in Ihrer Organisation in der Vergangenheit geprägt war von der Betrachtung des Menschen als Kostenfaktor? Dann müssen Sie (erst einmal) die Folgen ausbaden. Aber das wird sich ändern!
Beide Seiten haben etwas davon
In der Praxis sollte es bei Maßnahmen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement zwei Profiteure geben: Der Mitarbeiter selbst hat etwas davon, seine Gesundheit zu erhalten. Er will schließlich noch gesund in Rente gehen. Und der Betrieb hat etwas davon, denn mit der Gesundheit wird auch die Leistungsfähigkeit gepflegt und gefördert.
Im Idealfall werden auch die Bindung ans Unternehmen und die Motivation gestärkt sowie das Betriebsklima verbessert und das Image des Unternehmens gefördert.
Dass der Betrieb Gesundheitsmanagement nicht ausschließlich aus Gründen der Wohltätigkeit durchführt, versteht auch jeder Beschäftigte. Man sollte daher – als BGM-Verantwortlicher oder als Geschäftsführer – auch kein Hehl aus den Motiven machen, sondern stattdessen genau das betonen. Etwa indem man bei Impuls-Events oder auf Betriebsversammlungen sagt, dass jede/r davon profitiert, das Unternehmen eingeschlossen.
Gesundheit am Arbeitsplatz ist (auch) ein Gemeinschaftswerk.
Der einzelne trägt eine Verantwortung zur Erhaltung seiner Arbeitskraft (im Grunde sogar laut Arbeitsvertrag), und der Betrieb leistet ebenfalls seinen Beitrag dazu, dass alle Beschäftigten gesund bleiben und gesund in Rente gehen können.
Diese Zusammenarbeit wird dann gut funktionieren, wenn beide Seiten Hand in Hand arbeiten und sich ihre Bemühungen sinnvoll ergänzen. Wertschätzung fungiert dabei als Düngemittel. Die Unternehmensleitung muss glaubwürdig signalisieren:
„Deine Gesundheit liegt uns am Herzen,
denn DU bist uns wichtig, und natürlich auch deine Arbeitskraft.
Wir trauen dir zu, dass du selber die Verantwortung für deine Gesundheit übernimmst;
und wir wissen, dass wir ebenfalls Verantwortung für deine Gesundheit tragen,
und deshalb wollen wir dich nach Kräften unterstützen.
Wir wollen, dass du dich an deinem Arbeitsplatz wohlfühlst.“
Kulturveränderung durch die Wechselwirkung von BGM und Wertschätzung
So ein Signal glaubwürdig, sprich: als Ausdruck von Wertschätzung zu vermitteln, das erfordert mehr als nur einzelne Aktionstage, gesponsorte Sportangebote, Ernährungsberatungen oder Raucher-Entwöhnungskurse.
Uhle und Treier (2011, S. 29; Neuauflage 2015) sprechen vom „JoJo-Effekt“ einer verordneten Diät, wenn Unternehmen zu Kurzfrist-Angeboten greifen und sich von diesen maximale Effekte erhoffen, möglichst noch in Form einer drastischen Reduzierung der Fehlzeitenquote. Solche Wirkungen lassen sich nicht auf Knopfdruck erzielen, sie sind das Resultat einer Kulturveränderung.
Noch ein weiterer Aspekt ist wichtig, wenn BGM Erfolg haben soll. Es wird höchste Zeit, dass sich betriebliche Gesundheitsförderung bzw. BGM auch um psychosoziale Themen kümmern (Kuhnert, Akca & Kastner, 2010).
Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems führen zwar derzeit noch die Fehlzeitenstatistik an, aber in den Gesundheitsberichten sämtlicher Krankenkassen zeigt sich, dass die psychischen Erkrankungen auf dem Vormarsch sind und zudem der häufigste Grund für Frühverrentungen. Dabei spielen weniger akute als vielmehr chronische Verläufe eine wichtige Rolle.
Diesen Veränderungen muss das BGM Rechnung tragen.
Schleichender Gesundheitsverlust durch Wertschätzungsdefizite
Uhle und Treier (2015) formulieren das so: „… das eigentliche Problem ist nicht die biologische Erkrankung im Sinne des Dualismus zwischen Gesundheit und Krankheit. Problem ist der schleichende Gesundheitsverlust durch mangelnde Menschlichkeit, Wertschätzung und Leistungsverdichtung, der teilweise in der Arbeitswelt dominiert und sich in den bedenklich hohen Prävalenzzahlen ‚Psychische Störungen’ ausdrückt. Gerade an diesen Faktoren kann die Arbeitswelt ansetzen und ein Setting schaffen, das im Sinne der Salutogenese gesundheitsförderlich ist.“
Eine von Wertschätzung geprägte Haltung als Grundlage des BGM (das letztlich natürlich auch betriebswirtschaftliche Ziele verfolgt und seine Erfolge messbar machen muss) ist in meinen Augen hierfür genau das richtige „Medikament“. Die von Antonovsky (1987) erarbeiteten drei Aspekte des Gesundheitstreibers „Kohärenzsinn“ – Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit – ergeben sich dabei en passant, quasi von allein.
In einem auf Wertschätzung basierenden BGM
- werden Mitarbeitende einbezogen,
- bekommen Hilfsmittel zur Erhaltung der Gesundheit an die Hand,
- wissen, wofür und wozu sie welche Maßnahmen ergreifen.
BGM auf der Basis von Wertschätzung = Salutogenese pur
Mich wundert es nicht, dass sich Maßnahmen zur Gesundheitsförderung (seien sie nun Teil eines BGM oder nicht) förderlich auf die psychische Gesundheit auswirken, wie eine Metastudie über 1000 (!) Studien ergab; und zwar sogar, wenn die Maßnahmen primär auf die körperliche Gesundheit abzielen.
Publiziert wurde die Metastudie im Rahmen eines iga-Reports (iga steht für „Initiative Gesundheit und Arbeit), der den Titel trägt „Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention“ – wichtig zu wissen für alle, deren Finanzverantwortliche im Betrieb Zahlenmaterial brauchen, um Gelder zu bewilligen (www.iga-info.de).
Der Treiber dahinter ist meines Erachtens (das wird Sie jetzt sicher nicht wundern …): Die Wertschätzung! Nämlich in dem Sinn, dass die Beschäftigten durch gesundheitsfördernde Maßnahmen das oben genannte Signal empfangen: „wir wollen, dass du dich hier wohl fühlst“.
Die Maßnahmen können ein erster Baustein für den in der Abbildung beschriebenen Kreislauf sein. Irgendwo muss man ja anfangen. Und so lange Signale der Wertschätzung senden, bis mehr oder wenige alle davon überzeugt sind, dass der Betrieb es gut mit ihnen meint. Also unbedingt dran bleiben!
Wirtschaftliche Motive nicht verstecken!
Dass dabei für das Unternehmen auch finanzielle Motive eine Rolle spielen, ist, wie gesagt, selbstverständlich und auch den Beschäftigten von Anfang an klar bzw. darf und soll klar gestellt werden.
Gänsler und Bröske (2010) berichten in ihrem Buch „Die GesundArbeiter – Warum Gesundheit der entscheidende Erfolgsfaktor in Unternehmen ist“, dass Gesundheit „höhere Zinsen als Hedge-Fonds“ bringt (S. 135).
Braucht man dazu Studien?
Ich persönlich denke, eine wirklich wertschätzende Geschäftsführung weiß so etwas auch ohne einen Beweis durch wissenschaftliche Untersuchungen.
Aber diese Ansicht ist vielleicht zu naiv, denn auch die Geschäftsleitung muss ja in der Praxis letztlich ihre Entscheidungen vor irgendwem rechtfertigen. Und dazu sind Studien zu diesem Thema natürlich wichtig.
(Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch Wertschätzung im Betrieb. Impulse für eine gesündere Unternehmenskultur. Es fiel mir heute wieder in die Hände, und ich fand unter anderem diese Passage zitierenswert.)