Depression und Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) – Zusammenhänge und Verbindungen
Rund vier Millionen Menschen in Deutschland leiden im Moment an einer behandlungsbedürftigen Depression, bei der das Stimmungstief länger als zwei Wochen andauert. Damit ist die Depression mit Abstand die häufigste psychische Erkrankung. Sie ist eine häufige Ursache für Frühverrentung.
Phasen gedrückter Stimmung kennt im Grunde jede/r. Aber durch wertschätzende Zuwendung oder positive Erlebnisse lassen sich solche Phasen oft schnell beenden. Anders bei Menschen in einer depressiven Episode: Sie sind stimmungsmäßig nicht erreichbar, wirken emotional leer und sind oft nur eingeschränkt leistungsfähig (auch falls die Fehlzeiten stabil bleiben). Damit ist das Thema auch für Betriebe von Bedeutung.
Daneben wird diskutiert, ob Leistungsverdichtungen im Arbeitsleben zur drastischen Zunahme depressiver Störungen in den letzten Jahren beigetragen haben – ob Stress im Betrieb also die Rolle eines Mit-Verursachers innehat. Aus beiden Gründen sollte sich das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) mit dem Thema Depression auseinandersetzen. Dabei handelt sich oft um ein für die Akteure unbekanntes Terrain.
Eine neue Herausforderung fürs Betriebliche Gesundheitsmanagement
BGM ist von seinen Ursprüngen her überwiegend körperlich orientiert. Das Vorgehen bei körperlichen Erkrankungen bzw. deren Prävention und Therapie ist vergleichsweise einfach: Man hat eine Ursache und verschreibt eine medizinische Behandlung, bis das Problem gelöst ist. Psychische Erkrankungen mit ihrer Multikausalität und Nicht-Sichtbarkeit stellen die deutlich größere Herausforderung dar.
Es ist noch lange nicht selbstverständlich, dass sich betriebliche Akteure auch mit psychischer Gesundheit beschäftigen. Zwischenmenschlicher, psychosozialer Arbeitsschutz ist schwer planbar, Erfolge sind schwer messbar (bzw. nur über sozialwissenschaftliche Indikatoren wir die Einschätzung des Betriebsklimas), subjektive Bewertungen spielen eine sehr große Rolle – kein Wunder also, dass weiche Themen wie ein wertschätzendes Miteinander oder eben betriebliche Maßnahmen zur Depressionsprävention noch nicht weit verbreitet sind.
Was der Betrieb tun kann
Die Gefährdungsbeurteilung sollte auch psychische Belastungen erfassen – faktisch ist dies nur in jeder vierten Gefährdungsanalyse tatsächlich der Fall! Hier liegt ungenutztes Potenzial. Natürlich liefert die Analyse keine Angaben über einzelne Beschäftigte und deren Depressionsgefährdung, aber sie kann Hinweise auf Überlastung und Überforderung, gewachsenen Leistungsdruck und fehlende Ressourcen liefern.
Menschen mit psychischen Erkrankungen benötigen im Grunde all das zum Gesundbleiben, was andere Beschäftigte auch brauchen: Transparenz in Bezug auf Veränderungen und Unternehmens‑ oder Bereichsziele, ein gutes Betriebsklima (in dem spöttische Bemerkungen oder Ausgrenzungsversuche an den Pranger gestellt werden), Anerkennung für ihre Leistungen und Wertschätzung ihrer Person, klare Anforderungen und klare Feedbacks, soziale Unterstützung im Kollegenkreis und eine Führungskraft, der das Wohlbefinden der Beschäftigten am Herzen liegt.
Partizipative Gestaltung der Arbeitsbedingungen
Mitgestaltungsmöglichkeiten sowie flexible Arbeits- und Arbeitszeitgestaltung sind sinnvoll auch zur Prävention psychischer Erkrankungen wie Depression (Menschen in einer depressiven Episode fühlen sich hilflos und ohne Gestaltungsmöglichkeit). Ebenso sollte man Weiterentwicklung fördern durch Qualifizierungsmaßnahmen und hierzu Angebote machen. Sämtliche Maßnahmen sollten auf freiwilliger Basis erfolgen, damit die Beschäftigten sich nicht überfordert fühlen. Zugleich ist wichtig, dass alle Funktionsträger des Betriebes signalisieren, wie wünschenswert Weiterbildung etc. ist.
Manchmal lohnt sich auch eine Hinterfragung der Terminologie. So ist es sinnvoller zu sagen, ein Mensch HABE eine depressive Episode oder er befinde sich IN einer solchen anstatt zu sagen, er SEI depressiv – letzteres klingt wie ein Persönlichkeitsattribut, ersteres hingegen wie eine vorübergehende Phase. Es macht Sinn, davon auszugehen, dass der Zustand reversibel ist, weil dies die Wahrscheinlichkeit einer Heilung suggeriert. Der von der WHO verwendete Ausdruck “depressive Episode” impliziert ebenfalls, dass der Zustand vorübergehen wird.
Gute Broschüre zum Thema
Ausgesprochen empfehlenswert und kostenlos:
Die Broschüre der Betriebskrankenkassen „Psychisch krank im Job. Was tun?“ Verfügbar unter www.bkk.de.
Es kann nicht darum gehen, bspw. die Mitglieder des Arbeitskreises Gesundheit zu Therapeuten ausbilden zu lassen (auch nicht die Betrieblichen Gesundheitsmanager). Das läge in der Regel außerhalb des eigenen Kompetenzbereichs. Sie sind keine Diagnostiker. Und erst recht keine Therapeuten. Aber dennoch wollen sich viele betriebliche Akteure informieren über psychische Erkrankungen und ihre Auswirkungen am Arbeitsplatz.
Hierfür ist das Heft optimal geeignet. Meines Erachtens liefert die genannte Broschüre hierfür exakt das nötige (und genug!) Wissen. Es werden einzelne Krankheitsbilder vorgestellt und Empfehlungen gegeben, auch für psychiatrische Notfälle. Hierin wird auch das HILFE-Konzept vorgeschlagen, wobei jeder Buchstabe für einen Schritt steht:
H – Hinsehen: aufmerksam sein, Veränderungen beobachten
I – Initiative ergreifen: das Gespräch suchen (Leitfaden siehe unten)
L – Leitungsfunktion wahrnehmen: Ziele vereinbaren
F – Fordern + Fördern: realistische Anforderungen stellen statt schonen
E – Experten hinzuziehen: Grenze erkennen + Profis hinzuholen
Info-Veranstaltungen für Beschäftigte
Auch eine Thematisierung auf Gesundheitstagen oder Betriebsversammlungen ist sinnvoll. Bisweilen sind Krankenkassen-Mitarbeiter bereit, zu den Themen Burnout oder Depression Vorträge zu halten. Oder man lädt externe Referenten ein. Das Interesse bei Veranstaltungen zu Burnout ist oft größer als bei Veranstaltungen unter der Überschrift “Depression”. Die Diagnose „Burnout“ (die streng genommen keine ist, denn es gibt noch keine eindeutigen Kriterien, auf die sich Gesundheitsorganisationen geeinigt hätten) hat einfach eine höhere soziale Akzeptanz als Depression.
Häufig werden solche Veranstaltungen durchgeführt aufgrund entsprechender Ergebnisse in Mitarbeiterbefragungen oder nachdem Vorstandsmitglieder oder andere bekannte Beschäftigte an der jeweiligen Erkrankung gelitten haben. Die Erkenntnisse dabei:
- Jeder Mensch kann körperlich krank werden – und auch psychisch.
- Das ist quasi normal und gehört zum menschlichen Leben dazu.
- Und meistens wird man nach einer psychischen Erkrankung wieder gesund.
Depression: Behandlung des Themas in Führungskräfte-Workshops
4 von 5 Führungskräften haben es einmal mit einem depressiven Mitarbeiter zu tun.
Führungskräfte auf den Umgang mit psychisch erkrankten Beschäftigten vorzubereiten – auch das kann eine Aufgabe des Betrieblichen Gesundheitsmanagements darstellen, denn viele fühlen sich durch diese Aufgabe überfordert. Da kann es entlastend wirken, wenn die Führungskräfte erfahren, dass sie nicht „versehentlich“ eine depressive Episode auslösen können – zumindest nicht, solange sie ihr Führungsverhalten ab und zu hinterfragen (Die Führungskräfte, die tatsächlich krank machen, hinterfragen ihr Verhalten nicht).
Manche Betriebe bieten Klinikbesuche an, bei denen die Führungskräfte mit (ehemals) Betroffenen ins Gespräch kommen. Beispielsweise über den Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (www.bapk.de) kann man solche Besuche organisieren. Bisweilen kommen die Ex-Patienten auch in den Betrieb. Die emotionale Betroffenheit der teilnehmenden Führungskräfte ist oft groß. Und sie erkennen, wie schnell es geht, depressiv zu werden. Viele werden auch achtsamer in Bezug auf eine eigene Burnout-Gefährdung.
Wie Hawkins et al. (1999) zeigen konnten, ist Wertschätzung eine Möglichkeit zur Depressionsprävention. Das erscheint psychodynamisch betrachtet logisch: Luise Reddemann beispielsweise beschreibt, dass Depressive glauben, Liebe nur durch Leistung erhalten zu können, weshalb sie häufig zu Perfektionismus neigen. Bedingungslose Wertschätzung wirkt daher beruhigend in dem Sinne „ich bin gut so, wie ich bin“. Gratifikationskrisen zu vermeiden – auch das ist eine Aufgabe von Führungskräften.
Was der einzelne tun kann: Das Gespräch suchen
Wichtig ist, mit dem Betroffenen zu sprechen statt über ihn. Gut gemeinte Ratschläge wie „Unternimm doch mal was!“ nützen Menschen in einer depressiven Episode wenig. Sie verstärken eher die Schuldgefühle, mit denen die Betroffenen sich ohnehin schon plagen. Ob als Vorgesetzte/r oder als Kollege/ Kollegin: Man sollte das Gespräch suchen. Wichtig ist, beobachtete Veränderungen relativ zeitnah (1 Monat) wertschätzend und unterstützend anzusprechen, zum Beispiel so:
- „Ich habe den Eindruck, dass Du dich in den letzten 4 Wochen verändert hast.
- Du bist so zurückgezogen, wirkst so ohne Schwung und antriebslos, und früher hast Du so auf Dich geachtet, jetzt sehe ich Dich am dritten Tag mit demselben Pullover.
- Das kenne ich gar nicht von Dir.
- Was ist los?
- Wie kann ich Dich unterstützen?”
Das bedrängt den anderen nicht, signalisiert aber Fürsorglichkeit. Man sollte sich zur Motivation vor diesem Gespräch klarmachen (ähnlich wie beim Thema Sucht):
Es nützt dem Betroffenen nicht, ihn zu schützen. Das verlängert nur die Wartezeit bis zu Therapie.
Sich nicht selber anstecken lassen
Depressive Stimmungen sind wie ein Virus. Sie stecken an. Viele Psychotherapeuten versuchen aus dem Grund, am Tag nicht mehr als zwei oder drei Patienten in depressiven Episoden zu behandeln – als eine Form der Psychohygiene. Diese Empfehlung gilt auch für Menschen im Betrieb wie zum Beispiel Sozialberaterinnen. Man braucht auch die Möglichkeit, sich mit Kollegen über belastende Gespräche auszutauschen und ggf. wieder „hochziehen“ zu lassen.
Menschen, die sich innerbetrieblich um depressiv erkrankte Kolleginnen und Kollegen kümmern, verdienen den Respekt von allen und sollten entsprechend gewürdigt werden. Ein BGM, das sich auch um psychische Erkrankungen bzw. deren Prävention kümmert, signalisiert damit Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten. Es trägt mit bei zur Entstigmatisierung Betroffener und Enttabuisierung der Erkrankungen. Offenheit wird gefördert. So gesehen kann gerade am Thema Depression ein Betriebliches Gesundheitsmanagement auch wachsen und reifen.
Zusammenfassung:
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