Ein Beitrag zu mehr Transparenz in der Arbeitswelt: die explizite Erlaubnis, Nein zu sagen. Es geht nicht um eine Einladung zur Arbeitsverweigerung, es geht um Offenheit im Sinne der Gesundheit. Deshalb beinhaltet dieser Beitrag auch Tipps für Sie selbst zum Nein-Sagen.
Nein sagen (dürfen): Keineswegs selbstverständlich
Fragt man Führungskräfte in Seminaren „Dürfen Ihre Leute Nein sagen, wenn sie sich durch einen Auftrag überfordert fühlen?“, dann erntet man in der Regel intensives Kopfnicken und Äußerungen wie „Natürlich! Beschäftigte sind heutzutage selbstbewusst! Die trauen sich das eher einmal zu oft als zu selten!“ Wie ist das bei Ihnen – der / die Sie ja vielleicht selbst Führungskraft sind?!
Was würde Ihre Führungskraft antworten? Und was sagen SIE?
Und wenn man die Mitarbeitenden dieser Führungskräfte fragt?! Dann kommt genau das Gegenteil heraus, nämlich Sätze wie „Ich riskiere lieber nichts!“, „Dann ist man hier schnell weg vom Fenster!“ oder „Dann hat der Chef mich auf dem Kieker, lieber nicht!“
Angst vorm Nein-Sagen auf allen Hierarchieebenen
Diese Diskrepanz zieht sich übrigens durch sämtliche Hierarchiestufen: Die leitenden Führungskräfte eines Konzerns haben in Bezug auf ihre eigene Führungskraft (Konzernleitung / Vorstand) exakt dieselben Befürchtungen: „Nein-Sagen wird als Arbeitsverweigerung bewertet, damit ruiniert man sich die Karriere.“ Setzen Sie mit Ihren Überlegegungen auch als Führungskraft bei sich selbst zuerst an. Dann wird es Ihnen umso leichter fallen, sich auch gegenüber Ihren Mitarbeitenden gesundheitsgerecht zu verhalten.
Fragen zur Reflexion:
Nein-Sagen = sich abgrenzen gegen eine qualitative oder quantitative Arbeitsüberforderung |
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Fragt man jedoch diejenigen, die in der Vergangenheit bereits den Mut zum Nein-Sagen hatten, nach den damals erlebten Konsequenzen, so stellt man fest: In 90 % der Fälle gab es keine negativen Auswirkungen. Bei den allermeisten waren die Befürchtungen also überflüssig!
WOLLEN Sie eigentlich Nein sagen?
Selbst wenn sie wissen, dass die Befürchtungen oft übertrieben sind: Viele Menschen wollen ja gar nicht nein sagen. Sie fürchten, Anerkennung zu verlieren – der Preis ist ihnen zu hoch. Aber dieses Tauschgeschäft „Arbeit gegen Anerkennung“ (zugespitzt: „Leistung gegen Liebe“) funktioniert nur bedingt.
Die Spirale hat eine Eigendynamik – sie stoppt nicht von alleine
Anfangs fällte es einem gar nicht auf, dass die Arbeit immer größere Ausmaße annimmt. Man arbeitet gern, freut sich über die die Anerkennung, auch über die Verantwortung. Aber ganz langsam kommt es zu einer spiralförmigen Entwicklung: Noch mehr Arbeit, noch mehr Verantwortung.
Der Mensch wird gratifikationssüchtig. Seine Suchtmittel sind Anerkennung, Gehalt und Stufen auf der Karriereleiter, bei manchen auch Macht in Form von Verantwortung. Man möchte niemanden enttäuschen (früher hat man schließlich auch alles ungefragt erledigt und gedacht: „Wenn er mir das zutraut, dann werde ich das wohl schaffen.“ Also macht man weiter bis zum gesundheitlichen Knock-Out. Von alleine stoppt die Spirale nicht!
Anregungen zur Reflexion
Vielleicht nützen Ihnen die folgenden Sätze
(entnommen aus dem Care-Cracker: „Mensch, sag’ doch mal NEIN!“) |
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Führungskräfte brauchen „Nein“ als Feedback
Die Führungskraft macht ja die Erfahrung „Der Mitarbeiter kann wohl noch mehr stemmen, sonst hätte er sicher schon etwas gesagt.“ Exakt dieses Feedback „ich kann nicht mehr“ braucht jede Führungskraft! Sie hat schließlich noch viele andere Aufgaben zu erledigen. Ohne ein eindeutiges (!) „Nein“ seitens des Mitarbeiters wird es immer weiter noch ein bisschen Arbeit obendrauf geben.
Wollen Sie die Spirale beenden?
Aussteigen aus der spiralförmigen Entwicklung – dazu muss der Impuls vom Mitarbeiter kommen. In einem 5-Mann-Betrieb sieht das vielleicht anders aus; da hat der Chef eventuell noch einen Blick für seine langjährigen Mitarbeitenden. Aber in größeren Betrieben wäre es zuviel verlangt, der Führungskraft die Verantwortung zu übertragen nach dem Motto „Mein Chef muss selber erkennen, wenn er mich überlastet“.
Sich abgrenzen gegen Überforderung – die neue Schlüsselkompetenz
Die Arbeit wird in Zukunft nicht weniger. Wir alle müssen lernen, uns gegen qualitative und quantitative Überforderung abzugrenzen. Das wird die Schlüsselqualifikation der Zukunft, zumindest für alle, die noch gesund in Rente gehen wollen.
Die Kraft zum Nein-Sagen kommt nicht von allein. Die meisten von uns – zumindest die Älteren – müssen das erst lernen: wie man sich abgrenzt, ohne als „Arbeitsverweigerer“ da zu stehen. Der folgende Kasten liefert hierzu einige Tipps. Grundsätzlich sollte man deutlich machen „Es geht NICHT GEGEN Sie, es ist FÜR MICH“.
Tipps zum Nein-Sagen:
Man sollte nie „einfach nur Nein“ sagen, sondern das Nein für die Führungskraft abfedern, damit sie sich nicht in ihrer Rolle angegriffen oder in Frage gestellt fühlt. |
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Ohne (die Bereitschaft zum) Verzicht geht es nicht
Man muss bereit sein, etwas dafür in Kauf zu nehmen. Im Grunde nimmt man IMMER etwas in Kauf – meistens eben gesundheitliche Einschränkungen. Denn es kann sein, dass man nicht zu den 90 % der Fälle gehört, in denen das Nein-Sagen Erfolg hatte. Vielleicht (und man weiß es oft vorher nicht) gehört man zu den anderen 10%.
Man muss bereit sein zum Verzicht, zum Beispiel darauf, die Karriereleiter nicht weiter zu erklimmen. Oder auf höhere Gehaltsstufen zu verzichten. Auf Anerkennung der Führungskraft zu verzichten. Man muss sich einstellen auf Sätze wie „das hätte ich nicht von Ihnen gedacht“, „ich bin enttäuscht“ oder „Sie sind doch sonst immer so zuverlässig“. Aber das sollte es einem wert sein.
Wer sind Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
Erleichtert wird das Nein-Sagen dadurch, dass man sich nicht nur über Arbeit definiert. Wenn man eine Antwort auf die Frage geben kann „Wer bin ich, wenn ich nicht arbeite?“, fällt der mutige Schritt zum Nein-Sagen leichter, als wenn die Arbeit der Lebensinhalt ist und das einzige, was dem Leben Sinn gibt. Man fühlt sich innerlich souveräner, wenn man weiß: Es gibt noch ein Leben neben der Arbeit.
Anmerkung: Bei der Führungskraft ist das vielleicht schon lange anders: Die lebt eventuell für die Arbeit. Das muss aber nicht heißen, dass Mitarbeitende sich diesen Ansprüchen oder dieser Lebens(?)einstellung anpassen. Jeder hat seine eigene Gesundheit.
Ein Lernprozess für Sie, für Ihre eigene Führungskraft und für Ihr Unternehmen
„Dann kann ich mir einen neuen Job suchen“ oder „Das erzählen Sie mal unserem Kunden, dass der länger auf sein Produkt warten soll – dann geht der doch zur Konkurrenz“: Solche Befürchtungen werden geäußert, wenn ich Menschen in Seminaren und Vorträgen vorschlage, öfter mal Nein zu sagen. Der Gedanke kommt ihnen absurd vor.
Nein sagen – das müssen nicht nur SIE lernen; das ist ein Lernprozess für Sie alle: für Ihre Führungskraft und für Ihre Kollegen, letztlich für den ganzen Betrieb. Und für Ihre Kunden letztlich auch. Wenn die Kunden beispielsweise merken, dass es sich aufgrund der besseren Qualität oder Servicementalität lohnt, auf Ihre Produkte zu warten, dann werden sie sich mittelfristig überlegen, ob sie wirklich weiterhin Billiglieferungen aus Fernost einkaufen wollen.
Es geht um eine andere Kultur
Einer muss den Anfang machen. Und es wäre gut, wenn das ein starker Mensch wäre und keiner, der heute schon kurz vorm Umkippen steht. Je mehr Leute Nein sagen, desto besser. Gerade im demographischen Wandel und in Zeiten des Fachkräftemangels profitieren wir alle von einer Kultur, in der man äußern darf, wenn die eigene Belastungsgrenze erreicht ist.
Insbesondere Sie als Führungskraft können und sollten hierzu ermutigen.
Lesetipp: