Echte Anwesenheit ist mehr als körperliches Vorhandensein auf dem Werksgeländer oder im Büro.
Im letzten Blog-Beitrag konnten Sie lesen: Fehlzeiten zwar angeblich überall ein „Riesenthema“. Aber andererseits spricht man nur auf höchst seltsame Art darüber. Nämlich zum Beispiel überwiegend über die Quote – also „körperliches Vorhandensein“ im Unternehmen. Aber:
Echte Anwesenheit ist mehr als körperliches Vorhandensein im Betrieb.
Betriebswirtschaftlich betrachtet besagt die Quote nicht viel. Sie ist lediglich ein Spät-Indikator für Dinge, die im Vorfeld gut oder schief gelaufen sind. Das heißt: Sie zeigt, wo es brennt.
Ich weiß schon, dass Sie vermutlich eigentlich von jetzt auf gleich die Fehlzeiten senken sollen. Bestimmt will Ihre Leitung rasche Erfolge sehen. Nehmen Sie es ihr nicht übel: Sie meint es ja gut. Sie will, dass Ihr Unternehmen produktiv ist.
Aber sicher stimmen Sie mir zu, dass es Ihnen eigentlich um echte Anwesenheit geht, denn:
„Eine niedrige Fehlzeiten-Quote ist kein Garant für eine hohe Produktivität.“
(A.K. Matyssek)
Oder – mit Professor Badura ausgedrückt:
„Fetisch Fehlzeiten-Quote“
Es hat seine Gründe, dass die Fehlzeiten-Quote so gefragt ist. Sie ist so leicht messbar. Damit gibt sie den Handelnden das gute Gefühl, etwas getan. Vielleicht sogar das Gefühl, dieses unangenehme Thema unter Kontrolle zu haben. Das ist aber nur eine Schein-Kontrolle. Wenn Sie sich für eine alternative Form der Analyse interessieren, schauen Sie doch mal hier: Fehlzeiten-Analyse - aber anders.
Zum Thema Fetisch Fehlzeiten-Quote habe ich mich an anderer Stelle ausführlich ausgelassen und möchte Ihnen hier einfach diesen Link empfehlen:
http://www.changex.de/Article/essay_matyssek_fetisch_fehlzeitenquote/xxXMhakUoqojtu6LQjvklymD5dIHWO
Er führt zur Website ChangeX, die mir freundlicherweise erlaubt hat, diesen Beitrag hier für Sie gratis zu verlinken. Danke dafür! Übrigens kann ich die Beiträge von ChangeX wirklich empfehlen, wenn Sie an spannenden Blickwinkeln auf die sich verändernde Welt interessiert sind. Ich bin selbst Abonnentin.
2 Mythen: „Wer nicht da ist, ist krank“ und „Wer da ist, ist gesund“
Wer nicht da ist (auch nicht im HomeOffice o.ä.), arbeitet nicht. Dieser Mensch erbringt 0% Leistung. Das ist unstrittig. Aber das heißt nicht,
- dass ein anwesender Mensch automatisch fit ist (vielleicht ist er faktisch arbeitsunfähig)
- oder dass er, nur weil er da ist, automatisch einen guten Job macht (vielleicht macht er nur Pausen)
- und auch nicht dass der Abwesende automatisch krank ist (vielleicht ist er faktisch arbeitsfähig)
Die Grafik zeigt diesen typisch unsystemischen Denkfehler. Er wird durch unser derzeitige Krankschreibesystem unterstützt: Unser Gesundheitssystem bzw. die Krankenversicherungen kennen nur „Voll-Krankschreibung“. Die Idee der Teilzeit-Krankschreibung ist aber nur eine Frage der Zeit ist, da bin ich sicher. Damit jedenfalls ignorieren wir das Phänomen “echte Anwesenheit”. Und für unsere Arbeitswelt haben wir diese Denke übernommen. Nämlich:
„Die ist da, also ist die gesund und arbeitsfähig und arbeitswillig.“
„Die ist nicht da, also ist die krank und arbeitsunfähig (oder aber arbeitsunwillig).“
Krankheit ist nicht automatisch AU. Und AU ist nicht automatisch Abwesenheit.
Dummerweise ist Arbeits(un)fähigkeit aber in unserem Sprachraum dichotom konzipiert. Das heißt: Wir tun so, als gäbe es nur zwei Ausprägungen. Gesund oder krank. Dass das Unsinn ist, wissen wir alle. Weil „gesund“ und „krank“ eben nur die Enden einer Skala sind.
Die betriebswirtschaftlich relevante Reserve liegt genau dazwischen!
Genau dieser „Graubereich“ zwischen gesund und krank bietet Ansatzmöglichkeiten zur Förderung der Gesundheit. Arbeiten bei Erkrankung ist nicht grundsätzlich falsch. Es ist sogar im Gegenteil unter Umständen gesundheitsfördernd – zum Beispiel bei einer leichten Depression. Daheimbleiben bei leichten Beschwerden ist übrigens auch nicht unbedingt falsch: Es gibt nämlich sogar Belege, dass sich längere Ausfallzeiten dadurch verhindern lassen.
Wer nur zu 10% gesundheitlich eingeschränkt ist, kann durchaus zu 90% arbeitsfähig sein. Mit der dichotomen Denke stehen sich viele Führungskräfte (und erschreckend viele Personaler/innen) selbst im Weg. Und mir ist aufgefallen. Die bekommen für diese Sichtweise regelmäßig die Quittung. Und zwei, weil die Mitarbeitenden genauso „ganz oder gar nicht“ denken. Die lassen sich dann schon mal bei einer Warzenentfernung am kleinen Finger für 2 Wochen krankschreiben. Natürlich kann dieses Verhalten auch andere Ursachen haben. Aber dieser Fall ist schon vorgekommen.
Kleine Anmerkung:
Zu solchen Entwicklungen kommt es auch, weil überängstliche Führungskräfte tatsächlich laut sagen: „Kommen Sie bloß erst wieder, wenn Sie zu 100% fit sind. Und auch erst, wenn Ihr gelber Schein (die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) abgelaufen ist. Denn falls Ihnen andernfalls etwas passiert, bekomme ich Riesenärger mit der Berufsgenossenschaft. Denn da fehlt der Versicherungsschutz.“ Sehr weit verbreitet ist diese Befürchtung. Und auch das Unwissen darüber, dass der gelbe Schein lediglich eine Prognose beinhaltet. Der Versicherungsschutz ist sehr wohl gewährleistet.
Mitarbeitende brauchen die Erlaubnis, gegebenenfalls auch mit 80% Leistungsfähigkeit im Betrieb erscheinen zu dürfen. Nebenbei bemerkt: Waren Sie im letzten Jahr an allen 200 Arbeitstagen stets zu 100% fit? Vermutlich nicht. Niemand schafft das. Aber ohne explizite „Komm-Erlaubnis“ kann es zu Fehlentwicklungen kommen, wie in dieser Grafik dargestellt:
Das ist natürlich nur ein Beispiel für die „Reserve“. Allgemeiner gesagt: Jeder Mensch hat zu jedem Zeitpunkt auch gesunde Anteile. Und genau die kann man fördern. Also weg von der Gesund-versus-Krank-Denke hin zu „mehr-oder-weniger-arbeitsfähig-und-anwesend“.
Was Sie bzw. Ihr Unternehmen brauchen, ist echte Anwesenheit
Was ist das nun: echte Anwesenheit? Gibt es auch falsche? Naja. Wie Sie an dem Bild zu diesem Blog-Beitrag sehen können, kann man durchaus anwesend sein und dabei gesund sein. Und zwar, ohne etwas leisten. Beispiele hierfür sind etwa extrem lange Schwätzchen, Raucher*innen-Pausen oder Fremdsurfen. Das sind nur einige der Möglichkeiten, den Arbeitgeber um Leistung zu prellen:
(c) Dr. Anne Katrin Matyssek
Und natürlich kann man sich auch krank zur Arbeit schleppen. Das ist übrigens viel weiter verbreitet als das Gegenteil. Glauben Sie nicht? Hier sind zwei Folien zur Gegenüberstellung von Absentismus und Präsentismus als Beweis 😉 (Und dann höre ich aber auch auf, Sie mit Abbildungen zu überschütten …):
Beides nützt uns nichts. Was wir brauchen, sind Mitarbeitende, die zumindest einigermaßen arbeitsfähig sind. Menschen, die gern zur Arbeit kommen und sich hier richtig einbringen. Zum Beispiel, weil sie sich im Kolleg*innen-Kreis wohlfühlen und ihre Arbeit als sinnvoll erleben.
Echte Anwesenheit statt Undercover-Fehlzeiten – denn Gesundheit ist mehr …
… als einwandfreies Funktionieren des Körpers. Die immer Uralt-WHO-Definition von Gesundheit beschreibt zwar eine Utopie. Aber sie leistet uns auch heute noch große Dienste. Sie ist nämlich immer dann nützlich, wenn wir Menschen in Unternehmen genau davon überzeugen wollen: Der Körper ist nicht alles.
[entnommen aus dem Heft:
„Uns soll es gut gehen! – Gemeinsam das BGM voranbringen“]
Wenn man Gesundheit aufs Körperliche beschränkt, sieht man die “geheimen” Undercover-Fehlzeiten nicht. Man geht nicht ins Gespräch. Mobbing als mögliche Fehlzeiten-Ursache bleibt unentdeckt. Klagen über Stress werden nicht geäußert. Man ist quasi im Geheimen mental abwesend bei körperlicher Anwesenheit.
Mein Kollege Alex Stöckli bringt das auf den Punkt:
Worauf wir als Unternehmen hauptsächlich Einfluss haben, ist nicht die physische sondern die psychische Gesundheit – das Wohlbefinden und Glücklichsein bei der Arbeit.
Und ich würde sogar noch weiter differenzieren.
Denn ich behaupte: Den größten Ansatzpunkt haben wir bei der sozialen Gesundheit. Also bei der Frage, wie wohl sich Beschäftigte im Betrieb fühlen. Mit der Führungskraft und mit den Kolleginnen und Kollegen.
Dass hier auch besonderes „Motivationspotenzial“ liegt, schauen wir uns in den nächsten Blog-Beitragen genauer an. Darin geht es dann um Vertrauen und Bindung. Aber jetzt ist schon klar:
Wer sich nicht gebunden fühlt, wird eher zu Undercover-Fehlzeiten tendieren …
… als jemand, der sich zwischenmenschlich gut eingebunden fühlt. Er wird sich also nicht so gut einbringen. In der Fehlzeiten-Uhr sind solche Menschen „kleine Blaue“.
Sie sind also anwesend (anders als die Orange-Farbenen). Aber sie können oder wollen (noch) nicht ihr gesamtes Potenzial abrufen. Das ist schade fürs Unternehmen.
Lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie wir den blau(grau)en Weg im Bild hier unten mit Leben füllen können.
Anwesenheit ist nicht gleich Anwesenheit. Und Fehlzeiten haben verschiedene Ursachen.
Welche Ursachen das sein können? Warum es mit der Suche nach Schuldigen und reiner Symptom-Behandlung nicht getan ist? Dazu erfahren Sie mehr im Fehlzeiten-Info-Paket:
Sonnige Grüße,
Ihre Anne Katrin Matyssek