Was ändert sich dadurch, dass das Thema BGM derzeit solch einen Hype erlebt? In diesem Beitrag lesen Sie meine Meinung zum Thema.
Die Gesundheit im Betrieb hat Karriere gemacht 🙂
Sie gehört jetzt zum Management …
Das klingt wie ein müder Witz, aber die Idee dahinter kann durchaus clever sein: nämlich als Versuch, Gesundheit in die Köpfe von Führungskräften hineinzuhieven … “Management” als ureigenste Aufgabe von “Managern” – das soll den Führungskräften die Akzeptanz des Themas Gesundheit erleichtern. Grundsätzlich gut gedacht. Allerdings kann dieser Schuss ebenso nach hinten losgehen, wenn die Beschäftigten sich nicht mitgenommen fühlen und den Eindruck haben, BGM sei “nur etwas für die da oben”. Dann bleibt Gesundheitsmanagement ein Gesellschaftsspiel für leitende Führungskräfte (oder gar nur für die Mitglieder des AK Gesundheit).
Immerhin zeigt die Entwicklung der letzten Jahre: Gesundheit ist ein Theme für Unternehmen aller Größen geworden. Jahrelang galt Gesundheitsförderung als ein “Extra” für Beschäftigte – heute kann kein Betrieb mehr einen Bogen um das Thema “Gesundheit im Betrieb” machen. Das gilt nicht nur für Großunternehmen, in denen Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) mittlerweile zum Standard gehört. Auch immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen interessieren sich für das Thema.
Und während man früher schon mit “Gesundheitsförderung” zufrieden war (auch als Ansammlung von Einzelmaßnahmen), ist dieser Ausdruck inzwischen zumindest in Deutschland beinahe verpönt: Wer es Ernst meint, muss ein Betriebliches Gesundheitsmanagement aufweisen können. Die Österreicher haben diesbezüglich eine entspanntere Haltung, aber in Deutschland wird der Ausdruck “Gesundheitsförderung” assoziiert mit Yoga-Stunden und Apfelecken. Sprich: mit Einzelmaßnahmen.
Meine persönliche Meinung dazu (ich gehe davon aus, dass die Sie interessiert, denn sonst hätten Sie sich für eine andere BGM-Seite entschieden): Einzelmaßnahmen sind beser als gar keine. Ich finde es immer schade, wenn mir engagierte Werksärzte oder Personalerinnen, die sich intensiv für Gesundheit am Arbeitsplatz einsetzen, mit einem Ton von Bedauern: "Wir haben ja noch gar kein BGM, wir machen ja noch immer nur Gesundheitsförderung." Es kann ja sein, dass ihre Geschäftsleitung noch nicht so weit ist, ein BGM einzuführen. Aber bei den Beschäftigten wird trotzdem das Signal ankommen: "Ihr seid uns wichtig." Das ist doch viel wert, meine ich.
Diese Entwicklung kam nicht aus dem Nichts.
Zunächst war es der demographische Wandel, der die Unternehmen aufgeschreckt hat, und zwar durch die längeren krankheitsbedingten Ausfallzeiten der älter werdenden Belegschaft; die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittalters verstärkte den Handlungsdruck zusätzlich. Dann waren es die steigenden Burnout-Zahlen und die Zunahme psychischer Erkrankungen, die Betriebsräte und Personalabteilungen gleichermaßen alarmiert haben – auch weil die krankheitsbedingten Ausfallzeiten (Fehlzeiten) sich bei psychischen Krankheiten noch schwieriger kalkulieren lassen als andere Krankheitsbilder. Und aktuell beschäftigt die gesetzliche Anordnung zur Durchführung einer ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung die Gemüter in HR und Arbeitsschutz. Der Gesetzgeber will hierbei auch psychische Belastungen berücksichtigt wissen, was manche Arbeitsschützer mit klassischer Ausbildung vor Herausforderungen stellt.
Meine persönliche Meinung dazu: Als ehemalige Psychotherapeutin finde ich es begrüßenswert, dass über Burnout als Trojanisches Pferd auch die psychische Gesundheit ins BGM Einzug hält. Und auch, dass die Gefährdungsbeurteilung nun ihren Teil dazu beiträgt, die Psyche aus der Tabuzone zu holen. Das kann sich nur positiv aufs Betriebsklima auswirken.
BGM erlebt derzeit einen regelrechten Hype.
Ich mache diesen „Hype“ fest an der Anzahl der Beiträge im wöchentlichen Google Alert zum Thema „Betriebliches Gesundheitsmanagement“, an der wachsenden Zahl von Verbänden und Gesellschaften, die BGM im Titel tragen – und nicht zuletzt an der steigenden Nachfrage nach meinen Angeboten, obwohl ich seit einigen Jahren kaum noch Vorträge halte, sondern „nur noch“ Materialien anbiete, die das BGM unterstützen. Das Interesse ist ungebrochen, und im Durchschnitt erreichen mich pro Woche 2 Anfragen von innerbetrieblichen Gesundheitsmanagern, die konkrete Fragen zu ihrem BGM haben.
Meine persönliche Meinung dazu: Dieser "Hype" freut mich sehr, weil ich davon überzeugt bin, dass Mitarbeitende es ihrem Unternehmen danken (so dass alle etwas davon haben), wenn es etwas für ihr Wohlbefinden bei der Arbeit tut.
Übrigens können Sie mir gern Ihre Fragen mailen, die ich dann in meinem Blog öffentlich (natürlich anonymisiert) beantworten werde, wie zum Beispiel hier:
BGM wird in der Arbeitswelt 4.0 noch wichtiger werden.
Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Im Gegenteil. Vieles deutet darauf hin, dass Gesundheit im Betrieb in Zukunft weiter an Bedeutung zunehmen wird. Die Leistungsverdichtung wird sich intensivieren. Der Zwang zu Mobilität und zum Arbeiten in Projekten wird wachsen. Veränderungen an wiederholte Umstrukturierungen werden weiterhin zum Alltag gehören. Schon heute haben viele Menschen ihre Leistungsgrenzen erreicht oder sogar überschritten. Nicht immer ist der Betrieb daran schuld. Häufig spielt auch die sog. “interessierte Selbstgefährdung” eine Rolle: Die Betroffenen – bei weitem nicht nur Führungskräfte – identifizieren sich so stark mit ihrer Arbeit, dass sie Gesundheitsgefahren ignorieren oder sogar in Kauf nehmen. Die Burnout-Gefahr steigt.
Meine persönliche Meinung dazu: Wir werden lernen müssen, der Arbeit den Platz zu geben, den sie in unserem Leben einnehmen soll - statt uns einen Auftrag nach dem nächsten vorsetzen zu lassen, weil wir es eben so gewohnt sind. Das wird für viele ein Umdenken erfordern. Der Begriff des Arbeitsethos muss neu definiert werden, wenn wir noch gesund in Rente gehen (und von dieser noch etwas haben) wollen.
Gesundheit im Betrieb beinhaltet: Nein-Sage-Kompetenz als Schlüsselqualifikation.
Unternehmen sollten stets im ersten Schritt bei den Verhältnissen ansetzen und die Arbeitsbedingungen so gestalten, dass die Arbeitsfähigkeit bis zum Erreichen des Renteneintrittalters erhalten bleibt oder sogar gefördert wird. Im zweiten Schritt ist dann das Ansetzen auf der Verhaltensebene des einzelnen Beschäftigten legitim. Sie müssen es schaffen, nicht nur die Resilienz des einzelnen zu stärken, sondern auch seine Nein-Sage-Kompetenz.
Während die jüngeren Beschäftigten – Generation Y und Generation Z – andere Vorstellungen von einem gelingenden Leben haben als ältere (vgl. Scholz, Wirtschaftspsychologie aktuell, Juni 2015) und das Privatleben höher gewichten als frühere Generationen, muss die Babyboomer-Generation erst noch lernen, was für die Jüngeren selbstverständliches Recht zu sein scheint: auch mal Nein zu sagen. Die Grenzen zu erkennen, das ist hierfür die Basis-Voraussetzung, die vielen fehlt.
Meine persönliche Meinung dazu: In dieser Entwicklung kann man auch eine Ressource sehen, denn endlich werden wir zu mündigen Beschäftigten ... Ich war ja auch mal festangestellt und habe mich nicht immer getraut, Nein zu sagen. Aber damals habe ich gemerkt: Wenn wir das nicht lernen, gehen wir unter.
Gesundheit im Betrieb ist ein Thema, das unsere Arbeitswelt nicht mehr loslassen wird.
Eine lebenswerte Arbeitswelt ist immer ein Gemeinschaftswerk – genau wie Gesundheit im Betrieb (für mich als Psychologin gibt es da eh keinen Unterschied). Kultur wird stets von allen getragen und geprägt, ohne Ausnahme. Je mehr Auflösungserscheinungen der “alten” Kultur sich zum Beispiel in umstrukturierten Großunternehmen sichtbar werden, desto stärker mehren sich die Rufe nach einer “neuen” Kultur. Die entsteht aber nicht von jetzt auf gleich, nur weil man mal für zwei Stunden an einem Leitbild gearbeitet hat.
Wenn sich Unternehmen beispielsweise an Wettbewerben zum Thema Gesundheit beteiligen oder Verbänden beitreten, die Gesundheitsmanagement im Titel tragen, aber nicht bereit sind, die Arbeitsbedingungen menschenfreundlicher zu gestalten. Die Teilnahme an Wettbewerben kann motivierend wirken – wenn die ganze Belegschaft dabei mitgenommen wird. Mein Lieblingsspruch in diesem Zusammenhang (eine Zitatspende meines Freundes):
Die Kultur verändert man nicht durch die Mitgliedschaft in einem Verein.
Gesundheit im Betrieb ist primär ein Führungsthema.
Dass ich das schreibe, wird Sie nicht wundern. Mein Thema ist Gesund-Führen und meine Praxiserfahrung hat mir gezeigt: BGM und Gesund-Führen, das ist fast dasselbe. Schließlich sind Führungskräfte in Sandwich-Positionen einerseits Gestalter von Arbeitsbedingungen und andererseits auch selbst eine Arbeitsbedingung; primär aber sind sie Menschen, die ihre eigene Gesundheit ebenfalls mitbringen an den Arbeitsplatz. Und häufig leidet die Gesundheit unter hohem Dauereinsatz von Körper und Psyche bei maximalem “Commitment” und dem Bemühen um mitarbeiterfreundliche Führung.
Den Spagat zwischen den Anforderungen von oben und von unten kann eine Führungskraft nur dann gesund bewältigen, wenn sie immer wieder gut auf sich selbst acht gibt und – genauso wie alle Beschäftigten – aus der gedanklichen Distanz heraus auch mal Mut fasst zum Grenzen-Setzen. Das müssen viele ebenfalls erst noch lernen.
Meine persönliche Meinung dazu: Diese Führungskompetenz - auch mal Nein zu sagen und sich schützend vor sein Team zu stellen - wird ebenfalls an Bedeutung zunehmen. Jemand hat mich mal als "Jeanne d'Arc der Führungskraft im Mittel-Management" bezeichnet, was mich sehr gefreut hat. Tatsächlich finde ich, dass Sandwich-Führungskräfte Stärkung von Oben verdienen - statt Druck wegen schlechter Fehlzeitenquoten.
Die Psyche ist Teil der Gesundheit …
In vielen Unternehmen bedurfte es eines gesetzlichen Auftrags (nämlich zur Durchführung der ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung), damit sie sich mit nicht-körperlichen Aspekten der Gesundheit auseinandersetzten. Das Thema “Psyche” ist in weiten Teilen immer noch tabu-behaftet. Bei dem Ausdruck “Psychische Belastung” denken viele an “Psychische Erkrankung”. Und am liebsten würden sie die Gefährdungsbeurteilung daher an Psychiater delegieren. Falls Sie dieses Thema näher betrachten möchten, empfehle ich Ihnen den Video-Kurs mit dem Titel
Mehr Erfolg im BGM: Die psychische Gesundheit integrieren
Die Psyche macht es den Menschen im Betrieb (vor allem den technisch orientierten) auch schwer: Man kann psychische Belastungen nicht messen, man kann keinen Grenzwert festlegen, die Beanspruchung – quasi die Folge der Belastung – schwankt von Mensch zu Mensch, und beim einzelnen Menschen auch noch von Tag zu Tag. Es wird höchste Zeit, dass Unternehmen auch das seelische Befinden zum Thema machen. Und auch Krankheiten bzw. Beeinträchtigungen des seelischen Befindens. Das ist Teil des Lebens.
Meine persönliche Meinung dazu: Die Psyche wird in Zukunft eine noch größere Rolle im betrieblichen Gesundheitsmanagement spielen. Dass mich als Psychologin das freut, wird Sie nicht wundern ... Und ich finde es ganz wunderbar, dass wir insgesamt immer mehr Menschen werden, die sich für mehr Gesundheit im Betrieb einsetzen.
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