Interview mit Dr. Maja Tintor

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In der Reihe "Menschen im BGM" wird heute Frau Dr. Maja Tintor von der Justiz NRW vorgestellt.

Leiterin Servicestelle Gesundheitsmanagement der Justiz NRW

Interview mit Dr. Maja Tintor – „Yoga und Möhrchen-Essen bilden nur die Spitze des Eisbergs im Gesundheitsmanagement!“

maja-tintor-fotoWie Frau Dr. Tintor und ich uns kennen gelernt haben, wissen wir selbst nicht mehr. Wir sind uns auf „gefühlt 1000 Tagungen“ immer wieder begegnet. Eine davon war ganz bestimmt auch die Health on Top von Skolamed. Jedenfalls war ich sehr neugierig, als ich hörte, dass sie inzwischen die Servicestelle Gesundheitsmanagement der Justiz NRW leitet.

 

Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?

Das Gesundheitsmanagement ist bei uns ein freiwilliges Angebot. Und die Dienststellen, die sich dazu melden, sind sehr engagiert.

Die Steuerungsteams stehen voll dahinter und wollen wirklich etwas gestalten.
Damit habe ich so nicht gerechnet. Das hat mich sehr positiv überrascht.

Ich bin mit meiner Mitarbeiterin in der Servicestelle in Recklinghausen zuständig für potenziell 270 Dienststellen. Man glaubt es kaum, aber das sind 30 000 Mitarbeiter: Wachtmeister, Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsmitarbeiter, Gerichtsvollzieher, Servicekräfte… Gerichte und Behörden gibt es ja überall im Land.

Jede der 270 Dienststellen kann sich für das Gesundheitsmanagement entscheiden. Deshalb mache ich viele Info-Veranstaltungen. Ich sage dann:

„Wir schauen, welche Belastungen gibt es am Arbeitsplatz, und was funktioniert schon gut?“

Viele sind diesbezüglich offen. Vor vier Jahren gab es bei der Justiz NRW ein Pilotprojekt mit Professor Badura. Nach der Entscheidung der Landesregierung 2011, das Gesundheitsmanagement in der Verwaltung einzuführen, und dem daraus folgenden Pilotprojekt beim Oberlandesgericht Köln entwickelte sich im Justizministerium die strategische Entscheidung, die Servicestelle einzurichten.

 

Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Ich bin Netzwerkerin. Alleine lässt sich Gesundheitsmanagement nicht aufbauen. Und zweitens habe ich Gesundheitsmanagement in allen Facetten kennengelernt: beim Mittelständler, in Groß-Unternehmen – und jetzt eben in der öffentlichen Verwaltung.

 

Wie kamen Sie überhaupt zum BGM? Und was haben Sie ursprünglich gelernt?

Ich bin Gesundheitswissenschaftlerin und Personalreferentin. Vor gut zehn Jahren habe ich in Osnabrück Gesundheitswissenschaften studiert und mich bei der Diplomarbeit für eine anwendungsbezogene Forschungsarbeit zum Gesundheitsmanagement entschieden. Dafür habe ich einen BKK Innovationspreis gewonnen. Aus der Diplomarbeit zur „Gesundheit und Schichtarbeit“ ist dann eine HR-Anstellung in einer Unternehmensgruppe in der Industrie geworden. So kam es, dass ich in fünf Betrieben deutschlandweit Gesundheitsmanagement aufgebaut habe, das schließlich LRQA-zertifiziert wurde und laut Skolamed-Benchmark (Vergleich mit 512 anderen Unternehmen) zum Top-BGM zählte.

Ursprünglich ging es der Unternehmensgruppe um den demographischen Wandel. Die Mitarbeiter waren im Durchschnitt Mitte 40.

Sie haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass die Verhältnisse
– die Führung und die Unternehmenskultur – wichtig sind.

Zum Glück gab es dort flache Hierarchien, und das Unternehmen war sehr offen für neue Wege. So wurde ich z.B. zu Fragen der Personal- oder HR Strategieentwicklung hinzugezogen. Die Personalleiterin war ein „Urgestein“ des Unternehmens, und sie hat mich stark unterstützt. Es gab auch eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat.

Weil der Markt für das Produkt eingebrochen ist, ist das Unternehmen in eine Krise geraten und musste eine Restrukturierung durchführen. Die Mitarbeiter hatten viele Ängste. Führungskräfte hingegen haben ihre Ängste weitestgehend ausgeblendet. Sowohl die eigenen als auch die der Mitarbeiter.

In einer solchen Phase fixieren sich die Entscheidungsträger verständlicherweise auf klassische Betriebskennzahlen, vergessen jedoch, dass Motivation und Leistung der Verbleibenden zwingend erforderlich sind, um den Unternehmenserfolg wieder herbeizuführen. Genau diese vernachlässigte Mitarbeiterorientierung kann zu Schwierigkeiten führen. Daher habe ich eine erneute Mitarbeiterbefragung angeregt, in der auch die besonderen Bedingungen erfasst werden sollten. Ich wollte das Ganze wissenschaftlich untermauern und habe an der Uni nach Studien gesucht. Und weil es kaum welche gab, habe ich auf Anregung einer Professorin daraus meine Doktorarbeit gemacht. Es geht um die Frage, wie man auch in schwierigen Betriebszeiten die Organisation gesünder gestalten kann – zum Vorteil für das Unternehmen sowie für die Mitarbeiter, obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen insgesamt denkbar suboptimal sind. In diesem Zusammenhang wurden umfangreiche Personalmaßnahmen durchgeführt: angefangen bei der Leitlinien Erstellung, über eine Wertediskussion, Führungskräfteentwicklung bis hin zum Kommunikationsplan und einer größeren Mitarbeiterorientierung – auch um die Ängste der Mitarbeiter zu reduzieren und sie „auf die Veränderungsreise mitzunehmen“. Das Unternehmen gewann den Top-Job-Award für die HR-Leistung.

Irgendwann hat sich mein Weg mit Frau Dr. Lotzmann von SAP gekreuzt. Wir wollten gerne zusammenarbeiten, und als SAP ein großes Health-Projekt aufzog, begann ich bei einem „SAP-Zulieferer“, einem universitätsnahen Beratungsinstitut, zur Hälfte für SAP und zur anderen Hälfte für weitere Dax-Unternehmen zu arbeiten. Das war für mich eine spannende Zeit, weil ich in ein BGM eintauchen konnte, das schon sehr weit entwickelt war. Ich konnte hier strategisch arbeiten und Großprojekte gestalten.

Die Unternehmen hatten schon alle BGM-Awards, die es gibt, gewonnen.
Ich konnte mich also bei den ganz Großen im Gesundheitsmanagement einbringen
.

maja-tintor-projekte-neuDie Besonderheit ist, dass Gesundheitsmanagement in „die DNA des Unternehmens“ gebracht wird.

Es geht also um die Frage, wie eine gesunde Organisation mit gesunden Mitarbeitern entwickelt werden kann.

Dadurch ist BGM kein soziales Zusatzbonbon, sondern ist fest im Unternehmen verankert und berücksichtigt auch den Unternehmenserfolg.

Ich finde es sehr bedauerlich, wenn der Begriff Gesundheitsmanagement inflationär dafür gebraucht wird, Massagen und Yogakurse vor Ort anzubieten sowie Obst zu verteilen. Das hat mit Management nichts zu tun und kann prinzipiell von jedermann umgesetzt werden.

Im ernsthaften BGM geht es aber um die Kunst, neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen so zu bewältigen, dass sowohl das Unternehmen „gesund“, d.h. erfolgreich ist als auch Mitarbeiter dabei gesund und leistungsstark sind und bleiben.

Hierbei geht es um ureigene Fragestellungen eines Unternehmens und nicht um soziales Beiwerk.

Ich wollte immer schon eine Organisation gestalten. Und weil ich finde, die Personalabteilung hat neben der Geschäftsführung dazu Stellschrauben, habe ich eine Weiterbildung zur Personalreferentin absolviert.

Wenn jemand Einfluss auf die Organisationsgestaltung hat,
auf die Führung und auf die Mitarbeiterorientierung, dann Personaler.

Obwohl ich mich in Baden-Württemberg sehr wohl gefühlt habe, bin ich aus privaten Gründen zurück nach NRW gegangen und habe die Stelle zur „Leiterin der Servicestelle Gesundheitsmanagement der Justiz NRW“ angenommen. Dabei war mir anfangs nicht klar, ob ich tatsächlich zum öffentlichen Dienst passe. Es war sozusagen ein neues Wagnis. Die Stelle ist bei der zentralen Fortbildungseinrichtung der Justiz angesiedelt. In meiner Funktion arbeite ich zusammen mit der Personalabteilung des Justizministeriums, dort mit dem für Gesundheitsmanagement und Arbeitsschutz zuständigen Referat.

Meine Arbeit besteht darin, den Steuerungsteams zu zeigen, worum es im Gesundheitsmanagement geht und welche Wege zur Entwicklung vor Ort geeignet sind. Dabei teile ich auch meine Erfahrungen, zum Beispiel hinsichtlich der Kontaktgestaltung mit Gesundheitspartnern und Hochschulen – was für die Wirtschaft selbstverständlich ist, für die öffentliche Verwaltung aber weitestgehend noch Neuland.

Außerdem erhalten sie bei mir Beratungen und Schulungen zu sämtlichen Themen des Gesundheitsmanagements (z.B. welche Diagnosemethoden sind nutzbar? Wie werden statistische Ergebnisse gelesen? Wie wird Gesundheitsmarketing gestaltet? Welche Maßnahmen könnten regional entwickelt werden? Wie wird evaluiert?).

Teils befasse ich mich auch mit Fragen des Arbeitsschutzes – zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Speziell hierzu habe ich mit der Unfallkasse NRW einen Leitfaden entwickelt.

 

Worauf sind Sie besonders stolz?

Dass mir meine Arbeit noch immer Spaß macht! Und dass ich zu allen ehemaligen Arbeitgebern ein gutes Verhältnis habe. Das heißt für mich, dass wir irgendetwas richtig gemacht haben.

Und dass ich mir im Gesundheitsmanagement nichts mehr beweisen muss. Dadurch kann ich entspannter an meine Arbeit gehen: ich weiß, was ich mache.

 

Wie haben Sie es geschafft, Gesundheitsmuffel zu Gesundheitsfans zu machen?

Ich habe viele Vorträge auf Wirtschaftstagungen gehalten und dabei immer versucht, die Betrachtung der Verhältnisse in die Denke der Teilnehmer hineinzubringen. Und ich habe gemerkt, dass bei dem einen oder anderen Teilnehmer ein Glühbirnchen angegangen ist.

Yoga, Möhrchen-Essen und bunte Plakate beim Gesundheitstag – das ist das, was die Leute mitbekommen. Individuelle Gesundheitsförderung ist quasi die Spitze des Eisbergs; sie ist der sichtbare Teil des Gesundheitsmanagements, das Aushängeschild.

Aber eigentlich geht es im Gesundheitsmanagement um viel mehr: um die Rahmenbedingungen, die individuelle Gesundheit ermöglichen oder stärken; die Frage, wie wir Arbeit, Strukturen und Prozesse gestalten.

Mir ist wichtig, dass gerade Führungskräfte verstehen, wie stark sie das Wohlbefinden am Arbeitsplatz beeinflussen.

Natürlich werden Mitarbeiter dabei nicht aus ihrer Eigenverantwortung gezogen.

 

Was treibt Sie persönlich an?

Wenn ich die Freude am eigenen Tun verlieren würde, würde ich etwas anderes machen.

Es ist eben nicht nur irgendein Job.

 

Wer unterstützt Sie?

Meine Vorgesetzten, meine Mitarbeiterin, die Gesundheitsakteure in den Dienststellen, das sind Geschäftsleiter, Personalräte, Richterräte, einzelne Mitarbeiter, eben Mitglieder der Steuerungsteams. Und privat meine Familie. Selbstverständlich auch mein mittlerweile stetig wachsendes Netzwerk an Gesundheitsakteuren, die ich im Laufe der Zeit kennen und sehr zu schätzen gelernt habe.

 

Hatten Sie anfangs Zweifel? Was ist das Schwierige an Ihrer Arbeit?

Schwierig war für mich die Situation, als das mittelständische Unternehmen umstrukturiert wurde. Ich musste den Spagat hinbekommen zwischen dem Gesundheitsmanagement und der Tatsache, dass aufgrund der Umstrukturierung Entlassungen vorgenommen wurden. Die Frage dabei war: Wie kann es den Verbleibenden trotzdem gut gehen? Dazu habe ich wissenschaftliche Studien zur Absicherung gesucht und kaum welche gefunden.

Das Schwierige an meiner heutigen Arbeit ist, dass ich immer klären muss: Wer ist wofür verantwortlich? Welche gesetzlichen Regelungen gibt es? Welche vorhandenen Strukturen können wir nutzen?

Es besteht die Gefahr, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht. Deshalb gibt es unter anderem einmal pro Quartal eine Gesundheitskonferenz mit Abgesandten der Behörden.

Manchmal bin ich vom Kopf her schon längst viel weiter, aber es wollen eben immer ganz viele Gremien mitreden. Dann muss man wieder vieles verschieben. Man braucht einfach einen langen Atem.

Gesundheitsmanagement ist insgesamt ein schwieriges Feld, aber genau das reizt mich.

Ganz herzlichen Dank, Frau Dr. Tintor! Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so breit gefächerte Erfahrungen im BGM machen durfte. Das war superspannend!

 

Mein Fazit:

Unternehmen, die es wirklich Ernst meinen mit dem “Optimieren in Sachen Gesundheit”, hören damit ganz sicher nicht beim Möhrchen-Essen und Yoga-Machen auf.

Wenn man in sooo viele BGM-Award-geschmückte Unternehmen reinschauen und dort mitwirken konnte, heute theoretisch für 30.000 Menschen in der Justiz zuständig ist und dann zu dem Schluss kommt, dass gerade die Führungskräfte verstehen sollten, wie stark sie das Wohlbefinden beeinflussen … – dann ist BGM ganz sicher nicht nur irgendein Job. Da geht mir das Herz auf 🙂

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Das nächste Interview aus der Reihe “Menschen im BGM” erscheint voraussichtlich im Juli 2016.

Ich freue mich wirklich sehr, wenn Sie Lust haben, hier einen Kommentar zu hinterlassen – quasi “als Mensch im BGM” für andere “Menschen im BGM” 🙂

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