Pflichtveranstaltungen zu Anerkennung oder Wertschätzung sind Ausdruck von Hilflosigkeit: Da weiß jemand, was dem Unternehmen fehlt, und nun will er es in die Köpfe der Führungskräfte hineinprügeln. Das kann nicht gut gehen. Was hilft? Empathie.
Welchen Sinn machen Pflichtseminare zum Thema Wertschätzung?
Oder: Wie kann man Menschen für ein wertschätzendes Miteinander gewinnen?
Im Grunde ist es ja schön, dass immer mehr Betriebe die Bedeutung von Wertschätzung für sich entdecken. Aber manchmal schütten sie das Kind mit dem Bade aus.
Ein Paradoxon erobert Betriebe (zumindest PE-Abteilungen und AKs Gesundheit)
Immer wieder wünschen sich Unternehmen Pflichtveranstaltungen zum Thema Wertschätzung. Häufig sind Betriebs- oder Personalräte die Treiber dahinter, manchmal aber auch Gesundheitsbeauftragte, Sozialberater oder andere Kulturträger, denen aufgrund von Mitarbeiterbefragungen oder Einzelgesprächen bekannt ist: „Hier fehlt’s an Wertschätzung! Unsere Beschäftigten fühlen sich zu wenig geschätzt!“
Natürlich ist es leicht zu sagen „Uns fehlt Wertschätzung – kauft die doch mal ein!“ – Aber im Grunde wissen wir alle, dass das so einfach nicht geht. So ähnlich wie bei der durch Paul Watzlawick bekannten „Sei-spontan-Paradoxie“. Man kann nicht zu einem anderen Menschen sagen: „Jetzt sei doch mal spontan“ oder „Sei doch mal kreativ“ oder „Schlaf doch mal ein“.
Genauso ist es ein Ding der Unmöglichkeit, auf Knopfdruck Wertschätzung zu zeigen. Die wäre ja nicht echt – in dem Moment, wo Wertschätzung „produziert“ wird, wo sie also absichtlich an den Tag gelegt wird als Mittel zum Zweck, verliert sie. Es stellt sich also die Frage, ob es Sinn macht, Pflichtveranstaltungen zu diesem Thema durchzuführen.
Wie würden Sie sich fühlen,
wenn Sie als Führungskraft eine Einladung erhielten
zu einem Pflicht-Seminar mit dem Titel „Wertschätzend Führen“?
Viele Menschen, die zur engeren Zielgruppe gehören, reagieren erst einmal mit Gedanken wie: „Ich führ’ doch wertschätzend – was soll ich da?“ Sie fühlen sich an den Pranger gestellt (vor allem, wenn die Veranstaltung nicht firmenweit sondern nur für bestimmte Unternehmensbereiche angeboten wird). Die innere Haltung, mit der sie in die Veranstaltung kommen, wird – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade von Offenheit geprägt sein.
Ausweg aus der Klemme
Also doch besser gar keine Pflichtveranstaltung, sondern darauf bauen, dass der Erfolg einer freiwilligen Veranstaltung sich ganz von selbst herumspricht und zuletzt auch die hartnäckigsten Wertschätzungsverweigerer erreicht? Meiner Meinung nach ist es durchaus legitim, Pflichtveranstaltungen durchzuführen, solange es sich um Vorträge handelt und auch die oberste Geschäftsführerebene vertreten ist.
Seminare sind naturgemäß „intimer“ als Vorträge – hier sollte man besonderen Wert auf ein wertschätzendes Ambiente der Veranstaltung legen: Es muss „chic“ sein, dorthin eingeladen zu werden. Es darf nicht den Charakter einer Straf-Veranstaltung bekommen, wenn es wirken soll. Stattdessen ist „Locken und Verführen“ angesagt: Man muss Menschen für das Thema GEWINNEN wollen. Dann werden die Leute auch kommen.
Ein Pharmakonzern hat das geschafft, und das lag, so glaube ich, auch an dem Titel der Veranstaltung: „Lass dich loben!“ war die Überschrift; es waren Vertreter der Leitungsebene anwesend; es gab hochwertige Getränke (frische Säfte neben Kaffee, Tee und Wasser), Obstsalat und Croissants, so dass eine Art Frühstücksgefühl entstehen konnte. Nach der umfangreichen Vorbereitung war die Veranstaltung erwartungsgemäß gut besucht und hat nach Aussage der Verantwortlichen noch lange nachgewirkt.
Die Prinzipien, die man hieraus ableiten kann
- Beim Thema „Wertschätzung“ darf es keine Frontenbildung geben. Das schafft man durch Äußerungen im Einladungstext wie „Wertschätzung braucht doch jeder – lassen Sie sich loben / holen Sie sich Ihre gesunde Portion Anerkennung“ o.ä.
- Man sollte dem Gegenüber (z.B. den zu einer Veranstaltung Eingeladenen) vermitteln, dass es bereits zu den „Guten“ zählt (zumindest manchmal dürfte ja auch dieser Mensch sich wertschätzend verhalten – nur am Arbeitsplatz dürfte es halt noch ein bisschen mehr sein …).
- Benutzen Sie (hier ausnahmsweise) „All-Aussagen“ oder „Man-Formulierungen“, mit denen Sie Ihre Wünsche einleiten, wie zum Beispiel „Wertschätzung braucht ja bekanntlich jeder“ oder „Wertschätzung finden ja alle wichtig, und deshalb …“.
Der Wert von solchen (auch Pflicht-)Veranstaltungen besteht darin: |
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Und tatsächlich machen viele Betriebe die Erfahrung, dass nach einer solchen Veranstaltung für eine gewisse Zeit (! keine Wunder erwarten) das Klima ein anderes ist. Damit tatsächlich langfristig ein Kulturwandel erfolgt, braucht es natürlich mehr solcher Impulse. Das Thema „Wertschätzung“ muss wieder und wieder aufgegriffen werden, und zwar möglichst auch von hochrangigen Kulturträgern. Aber der Anfang ist gemacht!
Die unverzichtbare Basis beim Einsatz für mehrt Wertschätzung
Und die Basis, um andere für das Thema „Wertschätzung“ zu gewinnen, ist eine wertschätzende Grundhaltung, die sich auch dann nicht kleinkriegen lässt, wenn sie auf Widerstände trifft. In gar keinem Fall sollte man einem Menschen vor den Latz knallen: „Sie wertschätzen uns nicht, und das beweist auch unsere Mitarbeiterbefragung!“
Wie motiviert fühlen Sie sich, wenn jemand mit Ihnen schimpft?
Beruflich oder privat lautet der wichtigste Tipp, wenn man jemanden für eine Verhaltens- oder Einstellungsveränderung gewinnen möchte: Nicht schimpfen! Schimpfen motiviert rein gar nicht, etwas an seinem Verhalten zu verändern. Es ruiniert nur die Stimmung, und die Wertschätzung geht weiter den Bach runter.
Sinnvoller ist stattdessen, seine Wünsche konstruktiv zu formulieren: Was hätten Sie gern anders und warum? Wecken Sie Verständnis für Ihre Wünsche! Das wird Ihnen dann gut gelingen, wenn Ihre Grundhaltung eine wertschätzende ist.
Wie Sie sich selbst zu mehr Wertschätzung verführen können:
Wie Sie Führungskräfte zu mehr Wertschätzung verführen, lesen Sie in einem anderen Artikel dieser Website, nämlich hier – jetzt geht es aber erst einmal um Sie!
- Gönnen Sie sich genug Genusserlebnisse – die machen großzügiger auch für „Gönnen-Können“ gegenüber anderen Menschen.
- Üben Sie sich in Dankbarkeit („count your blessings“), zum Beispiel vorm Einschlafen. Wer sich selbst (z.B. von Gott) geschätzt fühlt, tut sich auch leichter, andere zu schätzen.
- Sagen Sie sich beim Kontakt mit wertschätzungsfreien Menschen: „Im Grunde meint dieser Mensch es gut – er kann nur nicht aus seiner Haut“.
- Sehen Sie die fehlende Wertschätzung des anderen als Herausforderung („Den werde ich mit meiner Freundlichkeit schon noch aufweichen!“)
- Probieren Sie, Mitleid zu empfinden („Dem fehlt’s aber an Lebensfreude!“ oder: „Muss der viel Elend in seinem Leben erlebt haben, dass der sich so verhält!“).
Lesetipp:
Wertschätzung im Betrieb. Impulse für eine gesündere Unternehmenskultur
In dem Buch finden Sie Anleitungen für ein Multiplikatorenkonzept, für einen Vortrag und für eine Führungskräfte-Veranstaltung in 2 Varianten; die dazu gehörigen Folien finden Sie kostenfrei im Internet.