Pflichtveranstaltungen für Führungskräfte – ja oder nein?

veröffentlicht in: Führung + Gesundheit

Dieses Kapitel aus dem Buch Führung und Gesundheit beschäftigt sich mit der Frage, ob Pflichtveranstaltungen für Führungskräfte zum Thema "Gesund Führen" Sinn machen.

Pro und Contra Pflichtveranstaltungen zu “Gesund Führen”

Führungskräfte stehen dem Thema Gesundheit also bei weitem nicht immer so offen gegenüber, wie man meinen sollte. Als Zielgruppe für Seminare machen sie es einem auch nicht leicht: Auf Freiwilligen-Seminaren trifft man immer die üblichen Verdächtigen, von denen es heißt „die haben es sowieso nicht nötig“. Und die, die man eigentlich erreichen möchte, weil sie kränkend führen oder weil sie sich zu viel zumuten und geradewegs ins Burnout hineinarbeiten, melden sich nicht freiwillig an. Dennoch bin ich kein Fan von Pflichtseminaren zu diesem Thema – auch wenn das zunächst geschäftsschädigend klingt.

Pflichtseminare sind immer ein Symbol dafür,
dass die Kultur eines Unternehmens noch nicht so weit ist …

Pflichtveranstaltungen zum Thema „Gesund führen“ widersprechen dem Ziel. Man kann ja die Seminare ins Ausbildungskonzept aufnehmen. Das finde ich durchaus angemessen. Aber man kann nicht zu Führungskräften sagen: „So, und ab morgen wird hier gefälligst einfühlsam geführt!“ Das kann nicht funktionieren. Verpflichtung, das ist immer ein Zeichen für: Die Kultur ist noch nicht so weit, wie irgendjemand im Betrieb es gerne hätte. Man muss die Leute zwingen. Erwachsene! Ich persönlich finde, Pflichtseminare – zumindest zum Thema „Gesund führen“ – sind Ausdruck mangelnden Respekts.

Fallbeispiel aus der Praxis

Ich durfte mal ein ganz krasses Beispiel dieser Art am eigenen Leib erleben (seitdem schreibe ich in jedes Angebot: „Diese Veranstaltung eignet sich nicht zum Pflichtseminar“). Ich kam im Hochsommer in einen winzigen, heißen und muffigen Raum ohne Getränke. Dort empfingen mich dreizehn Teamleiter mit vor der Brust verschränkten Armen und verkniffenen Mienen. Ihre Körpersprache signalisierte noch vor der Begrüßung: Hier ist kein Arbeiten möglich. Als ich meine Beobachtungen (und Befürchtungen) ansprach, erhielt ich zur Antwort

„Unser Chef meint, unsere Fehlzeitenquote wär’ zu hoch. Und jetzt sollen Sie uns wohl den Marsch blasen.“

Da ich für das Unternehmen schon häufiger tätig war, hatte ich keine besonderen Konstellationen hinsichtlich des Seminars erwartet. Ich dachte, ich sollte wie immer meinen Beitrag zur Prävention leisten, indem ich aufgeschlossenen motivierten Führungskräften meine Bausteine für mehr Selbst- und Fremdwertschätzung nahebrachte. Doch bei dieser Seminargruppe lag die Sache ganz anders. Nachdem ich klar gestellt hatte, dass mein Arbeitsansatz ein grundsätzlich harmloser wäre und ich niemandem den Marsch blasen wollte, rückte einer der Männer mit der Sprache heraus.

Sie fühlten sich von ihrem Chef wie kleine Kinder behandelt, als könnten sie nie etwas richtig machen. Fürsorglichkeit sei ein Fremdwort für ihn. Er würde sich einen feuchten Kehricht um sie kümmern (die Raum- und Getränke-Situation schien diesen Eindruck zu unterstreichen) und ständig nur negative Kritik äußern. Aufgrund seiner eigenen Zielvereinbarung sei ihm die Fehlzeitenquote ein Dorn im Auge, die wolle er nun mit Gewalt senken. Dabei läge  deren Hauptgrund ganz woanders: Vor kurzem seien für die Service-Techniker neue PKWs bestellt worden, und zwar willentlich ohne Klimaanlage.

 Wer seinen Chef hasst, wird selten einen guten Job machen.

Das muss man sich einmal vorstellen:

Für die Leute ist ihr PKW im Grunde ein Arbeitsort. Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit verbringen sie in ihren Wagen, die vielerlei technische Geräte beinhalteten, Messwerkzeuge und dergleichen mehr. Dass alte Autos keine Klimaanlage hatten, haben die Männer still erduldet und in der warmen Jahreszeit eben gelitten. Aber als neue bestellt wurden, war eigentlich klar, dass diese mit einer Klimaanlage ausgestattet würden. Der Vorgesetzte hatte sich trotz der intensiven Klagen und Wünsche seiner Führungskräfte aber dagegen ausgesprochen – natürlich aus Kostengründen.

Die Folge war ein drastischer Anstieg der Fehlzeitenquote. Selbst schuld, kann ich da nur sagen. Ich kann die Teamleiter und ihre Mitarbeiter verstehen, wenn sie sich gekränkt und wenig wertgeschätzt fühlten durch diese Aktion ihres obersten Vorgesetzten. Sie taten sich schwer, ihren Mitarbeitern gegenüber die Entscheidung des obersten Chefs neutral zu vertreten. Ihre Loyalität war zumindest stark angekratzt. Einige haben mit ihren Leuten gemeinsam geschimpft. Die reagierten auf die mangelnde Wertschätzung mit häufigeren Krankmeldungen.

Analyse des Fall-Beispiels zu Pflichtveranstaltungen

Verstehen Sie mich nicht falsch: Das waren keine eingebildeten Kranken, und es war auch nicht unbedingt Böswilligkeit, wenn die Männer sich öfter mal arbeitsunfähig meldeten. Man kann vermuten, dass sie sich durch die Kränkung tatsächlich so aufgeregt haben, dass körperliche Symptome wie Verspannungen oder Magenkrämpfe verstärkt auftraten und außerdem ihr psychisches Wohlbefinden so stark beeinträchtigt war, dass ihnen ein normales Erledigen ihrer Arbeit nicht mehr möglich war.

Meines Erachtens hatte es sich der oberste Vorgesetzte selber zuzuschreiben, wenn die Fehlzeitenquote in seinem Bereich die Erfüllung seiner Zielvereinbarung gefährdete. Er hatte ganz bewusst den Interessen seiner Untergebenen zuwider gehandelt. Statt seinen Leuten die Arbeitsbedingungen zu erleichtern, hat er sie erschwert. Und statt sich zu entschuldigen, kaufte er nun mich ein. Ich sollte seinen Fehler wettmachen. Seine eigene mangelnde Fürsorglichkeit mit meinem Seminar kompensieren zu wollen, ist eigentlich eine Unverschämtheit. Man kann Wertschätzung nicht einkaufen.

Fürsorglichkeit und Wertschätzung lassen sich nicht von außen einkaufen. Die muss der Vorstand schon selber vorleben, wenn er sich wünscht, dass seine Leute gut führen.

Fachlich hui – menschlich pfui?

Die Kriterien, nach denen Menschen zu Führungskräften befördert werden, haben sich in den letzten Jahren erfreulicherweise gewandelt. Inzwischen wird nicht mehr nur auf die fachliche sondern auch auf die soziale Kompetenz geschaut, und auch Führungskräfte-Entwicklungsprogramme haben – nach Meinung der Betriebe, für die ich tätig sein konnte – an Häufigkeit und Qualität zugenommen. Leider werden die Führungsspannen und auch die räumliche Distanz aber wieder größer.

Man kann nicht durch Pflichtveranstaltungen wettmachen,
was bei der Auswahl der Führungskräfte verbockt wurde.

TIPPS FÜR SIE ZUM THEMA PFLICHTVERANSTALTUNGEN

  • Verzichten Sie auf Pflichtveranstaltungen zum „Gesund führen“!
  • Man kann Menschen nicht zur Wertschätzung verpflichten.

Buch-Cover (im Buch enthalten: das Kapitel "Führungskräfte für Gesundheit gewinnen")
Das Buch “Führung und Gesundheit” beinhaltet auch ein Kapitel über Pflichtveranstaltungen

Zum Schluss zeige ich Ihnen hier links noch das Cover des Buchs (kostet 22,90 € in D).

 

Und jetzt freue ich mich sehr, wenn Sie Lust haben, einen Kommentar zu hinterlassen. Vielleicht haben Sie ja ähnlich (oder genau andere?) Erfahrungen gemacht? Dann wäre es toll, wenn Sie sie hier mit uns teilen.

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